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Mit 100 Jahren fehlen die Träume

Der Jubilar Tennis Borussia Berlin: Ein Klub für Bankiers, Intellektuelle und unheilvolle Sponsoren.

 

BERLIN. Jubiläumsfeiern bieten nicht nur Gelegenheit zur Rückschau, oft dienen sie gleichzeitig als Forum für große Zukunftsszenarien. Wenn die Mitglieder Tennis Borussia Berlins indes heute das Zentenarium ihres Vereins begehen, dann werden die Visionen wohl kaum besonders großspurig ausfallen. Dafür ist zu wenig Zeit vergangen seit jenem Frühjahr 2000, als Trainer Winfried Schäfer vom Aufstieg in die Bundesliga träumte und Präsident Erwin Zacharias, der unheilvolle Sponsormillionen von der „Göttinger Gruppe“ mitbrachte, gar von der Champions League schwadronierte. Wer mochte sich seinerzeit vorstellen, daß TeBe heute, einen Zwangsabstieg und einen sportlichen Absturz später, in der Oberliga spielen würde. Dort, wo nicht FC Liverpool oder Real Madrid als Gegner warten, sondern Optik Rathenow und der Greifswalder SC.

Und so wird man sicherlich abheben auf die zugegeben glorreiche Historie des Vereins, den zwölf Schüler am 9. April 1902 in der Konditorei „An der Spandauer Brücke 13“ gründeten und, da er das Tischtennis- und Tennisspiel bezweckte, zunächst „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft Borussia“ nannten. Die Bezeichnung Borussia zeugte wie das Vereinsemblem von der patriotischen Gesinnung der Jugendlichen. Der schwarze Adler auf weißem Grund bedeutete: Preußen. Erst später, als irgendwann zu viele Mannschaften in schwarzweißen Jerseys antraten, legte sich der Verein zur besseren Unterscheidung auf dem Platz jenes Lila-Weiß zu, deretwegen die Spieler bald nur „Veilchen“ gerufen wurden.

1903 kam eine Fußball-Abteilung hinzu, und bald schon spielten TeBe-Fußballer repräsentativ für Berlin. Als 1910 mit Richard Girulatis der erste deutsche Fußballtrainer die Mannschaft führte, stieg der mittlerweile in „Berliner Tennis-Club Borussia“ umbenannte Verein in die höchste Berliner Liga auf. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hielt TeBe eine Sonderstellung unter den Vereinen im Berliner Norden, die alle auf dem „Exer“, dem Exerzierplatz an der Schönhauser Allee, trainierten. Schließlich wurde die „innere Struktur des Clubs“, schrieb Girulatis später in einer Festschrift, bestimmt „durch eine ganze Anzahl wohlhabender Mitglieder“. TeBe war in keinem Stadtteil fest verwurzelt, vielmehr rekrutierte der Klub seine Mitglieder aus der gehobenen Mittelschicht ganz Berlins. Bankiers, Kaufleute und Journalisten trafen sich dort, und in den pulsierenden 20er Jahren, als sich Sport und vor allem Fußball als „chic“ und „modern“ präsentierten, auch viele Intellektuelle. Der Komponist Arnold Schönberg etwa vertrieb sich gern bei TeBe die Zeit mit Tennis, Schauspieler Hans Albers spielte Fußball, Funktionär Ernst Lemmer saß für die DDP im Reichstag.

Daß Tennis Borussia in jener Zeit „in“ war, lag indes nicht allein an der Prominenz seiner Mitglieder, sondern auch an den überragenden Fertigkeiten der ersten Fußballmannschaft, die zwischen 1924 und 1932 mit Hertha BSC um die Berliner Vorherrschaft rang. In ihr agierten Stars wie Simon „Sim“ Leiserowitsch, den das Fußballidol Hanne Sobek immer als sein großes Vorbild bezeichnete, sowie Nationalspieler wie Albert Eschenlohr, Hermann Lux oder Otto Martwig. Sie wurden angeleitet von Trainerpionieren wie Otto Nerz und Sepp Herberger, die beide später (Nerz 1926 bis 1936, Herberger 1936 bis 1964) sogar die Nationalelf führen sollten. Die „Veilchen“ profitierten damals sehr von der Experimentierfreudigkeit dieser beiden Persönlichkeiten, die – wie auch Girulatis – außerdem als Fußballdozenten an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen wirkten. Bei TeBe probierten sie das in der Praxis aus, was an fußballtheoretischen Grundlagen an der Universität gelehrt wurde. So betrachtet, stand die Wiege des modernen Fußballs in Deutschland bei Tennis Borussia.

Selbstverständlich erklärte sich die damalige sportliche Stärke auch aus dem finanzkräftigen Umfeld. Als etwa ein Stürmerstar namens Sepp Herberger 1926 zwecks Studium nach Berlin zog, hatte sein Wechsel zu TeBe ziemlich handfeste Gründe. Er, der später seine Spieler immer auf den Amateurparagraphen einschwor, umging diesen damals mit der Hilfskonstruktion eines Arbeitsplatzes in einer von TeBe-Mitgliedern geführten Bank – in der er allerdings selten gesehen wurde. Auch als 1925 mit Carl Koppehel ein bezahlter Geschäftsführer eingestellt werden sollte, übernahm nicht der Verein, sondern unter anderem der Funktionär Alfred Lesser das Gehalt.

Dieser 1882 geborene Unternehmer personifizierte wie kein anderer in den ersten 30 Jahren den Verein. Von Anfang an dabei, organisierte und finanzierte er Spielerwechsel und setzte sich auch energisch für die 1925 gegründete Boxstaffel ein. Gleichzeitig jedoch steht diese Biographie für jene Tragödie, die in der Nazizeit sehr viele Mitglieder von TeBe ereilte. Denn der assimilierte deutsche Jude Lesser erklärte im April 1933, da die „Arisierung“ durch die Nationalsozialisten in vollem Gange war, notgedrungen seinen Austritt, und mit ihm etwa 15 bis 20 Prozent der gesamten Mitglieder. Nicht wenige gingen daraufhin in die Emigration, diejenigen, die in Berlin blieben, waren spätestens seit 1938 höchster Gefahr ausgesetzt. Wie viele durch das NS-Regime starben, ist unbekannt. In der Festschrift, die soeben im Berliner Powerplay-Verlag erschienen ist und auf eine Initiative der Fans zurückgeht, wird auch dieses dunkle Kapitel thematisiert.

Aber auch die Ära nach dem Dritten Reich erhält ihren angemessenen Raum. So die erfolgreichen 50er Jahre, als der Verein, angeführt von Torjäger Hanne Berndt, teilweise vor 80 000 Zuschauern spielte, sowie die Nichtberücksichtigung von TeBe für die 1963 eingeführte Bundesliga, die beiden Aufstiege in die erste Liga 1974 und 1976, und auch die Arbeit wichtiger Nachkriegspersönlichkeiten wie den ehemaligen Präsidenten (und Fernsehmoderatoren) Hans Rosenthal wird entsprechend gewürdigt. Gleichzeitig ist der Jubiläumsband von der Hoffnung auf eine bessere sportliche Zukunft der „Veilchen“ gekennzeichnet. Derzeit steht TeBe in der NOFV-Oberliga, Gruppe Nord, auf Rang zwei. Zum Spitzenreiter fehlen sechs Punkte bei einem Spiel Rückstand. Vielleicht klappt es ja noch mit dem Aufstieg. Historisch betrachtet gehört Tennis Borussia Berlin ja mindestens in die zweite Liga.

Erschienen am 9. April 2002 in der FAZ.

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