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Kampfgeist aus der Flasche

Zum Jubiläum der Fußball-WM von 1954 köchelt das Doping der „Helden von Bern“ in den Medien.

 

Es war eine Schlagzeile, die mit Karacho auf die Nation zuraste. „Die Helden von Bern alle gedopt?“, hatte Bild am Mittwoch gefragt. Basis dieses „ungeheuerlichsten Vorwurfs der Fußball-Geschichte“ waren Veröffentlichungen am Samstag vergangener Woche in der Frankfurter Rundschau und dem Tagesspiegel . Und Report Mainz präsentierte im TV am Montag einen Hausmeister des Wankdorf-Stadions, der nach dem „Wunder von Bern“ in der deutschen Mannschaftskabine abgesägte Ampullen versteckt unter Wasserablaufgittern gefunden hatte. Der damalige Mannschaftsarzt des Deutschen Fußball-Bundes beteuerte, Vitamin C gespritzt zu haben, „sonst nichts“, und erklärte nervös die später bei der Weltmeister-Elf grassierende Gelbsucht: Eine verunreinigte Spritze soll die Hepatitis übertragen haben.

Die Bild -intern angeblich vorher heftig diskutiert Frage, ob man überhaupt mit einem solchen Titel an diesem deutschen Nationalheiligtum rütteln darf, beantwortete die Reaktion dann am nächsten Tag selbst: Nein. „Lasst unsere Helden von Bern in Ruhe!“, sagte daher Beckenbauer am Donnerstag, und der ungarische Torwart Grosics urteilte Freitag: „Keiner war gedopt. Deutschland ist der wahre Weltmeister.“

Ist der Mythos 1954 zu stark? Der Berichterstattung nach sieht es so aus, hatten die Recherchen der letzten Tage doch nur wenig Weltmeisterliches an sich. Die FAZ etwa reagierte erst am Freitag in einem Kommentar, der „Zeitung für Deutschland“ zufolge ist die Sache eine reine Mediengeschichte: „Was dieser ziemlich schattenhafte Report damit suggerieren will, ist vollkommen klar: Das Wunder von Bern ist ungültig – Herbergers Jungs waren gedopt!“

Ähnlich reagierten die Agenturen, allen voran der Sportinformationsdienst (sid) aus Neuss, der eine Reihe von Experten präsentierte, die eine Dopingpraxis bei der WM 1954 kategorisch ausschlossen. Allein die Süddeutsche Zeitung befand, dass die Frage „genauer behandelt“ gehöre, wegen der Gelbsuchtepidemie und der Mentalität, die hinter der Spritzerei stecke.

Was das angeht, könnte ein Artikel im Spiegel weiterhelfen, der am 19. Mai 1954 unter dem provokanten Titel „Sauerstoff-Stürmer“ erschien. Den Leser empfängt ein seltsames Foto: Um eine große „Oxygen-Flasche“ herum gruppiert liegen – die Beine schräg nach oben – eine Reihe von Fußballspielern, die durch Schläuche hindurch reinen Sauerstoff inhalieren. Der Text verhandelt den künstlich zugeführten „Kampfgeist aus der Flasche“, der von Schweizer Fußball-Nationalmannschaft bei der WM-Generalprobe im April 1954 in Basel gegen die Herberger-Elf ausprobiert worden war. „Unsere Spieler haben in der Halbzeit eine Sauerstoffpumpe erhalten“, bestätigte deren Trainer Carl Rappan und liefert damit, so der Spiegel, „den verwirrten deutschen Fans eine maßgerechte Patentlösung für das Rätsel von Basel: Nicht mangelhafte Kondition der Deutschen, sondern die durchdachte Anwendung neuzeitlicher Alchimie beim Gegner war an dem verqueren Spielverlauf schuld.“ Die Deutschen hatten klar 4:0 geführt und am Ende noch glücklich 5:3 gewonnen.

Dieser Text diskutiert seriös, ob die Sauerstoff-Aufnahme als „Doping“ zu betrachten sei. Und er weist darauf hin, dass Fachorgane wie die L’Equipe (Paris) diese Form der Leistungssteigerung angepriesen hatten. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) habe diese Praxis im Jahr 1952 zwar als „unsportlich“ erachtet. Nun jedoch, nur wenige Wochen vor dem im Juni beginnenden WM-Turnier, habe der DFB offenbar seine Meinung revidiert, Trainer Herberger jedenfalls habe sich bei einem Insider über diese Form der Leistungssteigerung informiert. „Wenn wir (zur Weltmeisterschaft) in die Schweiz fahren und die anderen werden mit Sauerstoff aufgepumpt“, sagte DFB-Pressesprecher Carl Koppehel, „weiß ich nicht, ob wir es nicht ebenso machen sollen“.

Benutzt hat diese Zeitdokument bisher indes keine deutsche Sportredaktion, obwohl der Spiegel es am Mittwoch – parallel zum Bild -Titel – als Teil eines Dossiers über 1954 online stellte. Das Nachrichten-Magazin aus Hamburg hält das Thema offenbar für nicht beerdigt.

Erschienen am 3. April 2004 in der Frankfurter Rundschau.

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