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Gehen mit der Zeit

Das IOC berät mal wieder das Programm seiner Spiele, was auch ein Spagat ist zwischen Tradition und Moderne. Der Moderne Fünfkampf könnte wegfallen, Rugby und Golf könnten hinzukommen.

Es ist ein reichlich vermintes Terrain, und auch Roland Baar will das „sportpolitisch schwierige Thema” am liebsten nicht mehr kommentieren. Seit 1999 ist der ehemalige Schlagmann des Deutschland-Achters Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und sitzt als solches auch in jener wichtigen IOC-Kommission, die nachzudenken hat über das Programm der Olympischen Spiele. Vor gut zwei Monaten hat nun dieses Gremium Änderungen vorgeschlagen: Der Moderne Fünfkampf oder Baseball sollen demnach abgeschafft werden, andere Sportarten wie Rugby oder Golf stehen hingegen vor der Aufnahme. „Auch Olympia muss sich neuen Sportarten öffnen”, sagte Baar nach Bekanntgabe der brisanten Vorschläge, „so sehr die Spiele auch von der Tradition leben.”

Sofort brach er los, der Sturm hinter den Kulissen der internationalen Sportpolitik.

Schließlich verliert kein olympischer Sportfachverband freiwillig seinen elitären Status, hängen davon doch Popularität, TV-Präsenz und finanzielle Unterstützung ab. In Deutschland etwa profitieren selbst stiefmütterlich behandelte Sportarten wie Judo, Hockey oder Taekwondo von der finanziellen und sportwissenschaftlichen Potenz der Olympiastützpunkte. Und natürlich geht es auch für die betreffenden Spitzenfunktionäre des Sports um Macht und Einfluss im IOC.

Die Wochen bis zur diffizilen Entscheidungsfindung, die bei der 114. IOC-Session Ende November in Mexico-City über die Bühne gehen soll, sind daher gekennzeichnet von harter Lobbyarbeit. Wie so etwas in der Praxis aussieht, demonstriert derzeit Klaus Schormann, Präsident der deutschen und der internationalen Modernen Fünfkämpfer. Er hat in der letzten Zeit das direkte Gespräch mit Entscheidungsträgern aus dem IOC gesucht – und immer hat der Funktionär dabei seinen, wie er meint, größten Trumpf in die Waagschale geworfen: Die Historie. Die Randsportart ist schließlich von keinem Geringeren als dem Schöpfer der Modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, kreiert und 1912 ins olympische Programm durchgeboxt worden. Der Baron wollte seinerzeit ein modernes Äquivalent zum antiken Pentathlon schaffen; dass die Erfindung des Fünfkampfs vorwiegend paramilitärischen Überlegungen geschuldet war, erwähnt Schormann in seinen vielen Faxen, die er derzeit durch die Welt schickt, lieber nicht, und auch nicht, dass neutrale Beobachter die Sportart als Anachronismus bewerten. Immerhin: Er hat Recht mit seinem Argument, der Moderne Fünfkampf sei eines der „letzten Relikte” des Gründers.

Viele, um nicht zu sagen: fast alle olympischen Inhalte und Formen aus dessen Amtszeit sind ja tatsächlich verloren gegangen, beispielsweise das Startverbot für Profisportler – oder für Frauen. Die Olympischen Spiele, das ist eines ihrer Erfolgsgeheimnisse, haben sich stets weiterentwickelt, wenn man so will: immer wieder neu erfunden. Und dennoch ist sich Schormann „ganz sicher, dass wir nicht aus dem Programm gekippt werden”. Schließlich hätten ihm die meisten IOC-Mitglieder gesagt: „Du glaubst doch nicht, dass wir das letzte Erbe Coubertins ins Museum legen.”

„Dass der Moderne Fünfkampf überhaupt olympisch ist”, sagt indes der Geschäftsführer des Deutschen Rugby-Verbandes, Volker Himmer, „habe ich noch nie verstanden.” Im Vergleich zu Rugby, findet er, sei diese Sportart ziemlich unbedeutend. „Die Rugby-WM ist nach Olympischen Spielen und der Fußball-WM die drittgrößte Sportveranstaltung der Welt”, sagt Himmer, der indes einräumt, „dass wir hierzulande ein Schattendasein führen.” Natürlich will auch Rugby olympisch werden, dass die Sportart vor der Aufnahme steht, führt Himmer auch darauf zurück, dass sich die lange zerstrittenen internationalen Rugby-Verbände „endlich ausgesöhnt” haben. Wichtiger als das erscheint indes die sportliche Vergangenheit des aktuellen IOC-Präsidenten: Jacques Rogge war belgischer Rugby-Nationalspieler – und er hat bereits angekündigt, dass es definitiv zu Änderungen kommen werde.

Für die Spiele 2008 in Peking schließen sich diese indes aus – eigentlich. Laut olympischer Charta müssen derartige Beschlüsse sieben Jahre vor den jeweiligen Spielen gefasst werden. Andererseits: Laut Baar „muss sich die olympische Familie nur einig werden”, dann gebe es auch hier Ausnahmemöglichkeiten. Wie er grundsätzlich denkt, hat Baar bereits angedeutet: „Ohne Bewegung geht es nicht, das hat bereits der Erfolg in neuen Disziplinen wie Beachvolleyball gezeigt”, sagt er – und weiß den als Reformer geltenden IOC-Präsidenten in diesem Punkt an seiner Seite. Wer nicht mit der Zeit geht, dieser Leitsatz gilt auch bei Olympia, geht mit der Zeit. Nicht nur die Fünfkämpfer haben allen Grund, sich Sorgen zu machen.

Erschienen in der taz am 13. November 2002

 

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