Neues Epo-Präparat im Ausdauerbereich in Umlauf / Kontrolleure müssen bei der Entwicklung von Nachweisverfahren warten.
Wie immer liegen die Fahnder hinten. Obwohl es noch nicht auf dem freien Markt erhältlich ist, kursiert Gerüchten zufolge ein neues Erythropoietin-Präparat (Epo) im Hochleistungssport. Das Medikament heißt „Dynepo“, und die darin wirksame Substanz Epoetin delta soll noch effektiver sein als die in „Aranesp“ – jenes Mittel, das dem Skilangläufer Johann Mühlegg bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City zum Verhängnis wurde. Dass nicht nur Gerüchte durch das Milieu des Ausdauersports wabern, zeigte bereits eine Meldung des Radsport-Weltverbands UCI Anfang Juli. Die UCI zählte Dynepo zur „nächsten Generation im Doping“; es versorge die Muskeln noch effektiver mit Sauerstoff als alle Epo-Präparate zuvor und sei nicht vor 2003 nachzuweisen. Nicht wenige werteten das als Freifahrtschein für Dopingsünder.
Wie immer sehen sich die Fahnder als Bittsteller. Im Frühjahr schon wusste Professor Wilhelm Schänzer, „dass dieses Mittel in der Pipeline ist“ und bat beim Hersteller um eine Probe. Der Leiter des vom IOC akkreditierten Labors in Köln erhoffte sich damit einen Zeitgewinn auf dem Weg zu einem schnellen Nachweisverfahren. Dass Dynepo bald ein Thema im Sport sein wird, davon gehen er und seine Kombattanten nämlich fest aus. Denn „sobald es ein neues Mittel gibt“, so Professor Klaus Müller vom IOC-Labor Kreischa, „wird es von Sportlern auch probiert“.
So ist denkbar, dass andere Skilanglangläufer Dynepo schon bei den Winterspielen benutzten. Seit März 2002 ist Dynepo offiziell in Europa zugelassen. Davor ließ der Hersteller eine zwölfmonatige Testreihe absolvieren, um Wirkung und Nebenwirkungen zu erforschen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Epo-Präparat lange vor dem Apothekenverkauf auf dem Schwarzmarkt des Dopingsports gehandelt wird; Aranesp tauchte auch schon vor der Markteinführung im Radsport während der Spanien-Rundfahrt auf.
So sehr Schänzer jedoch um eine Probe bat, der 1999 aus der Fusion von Hoechst AG und Rhône-Poulenc hervorgegangene Konzern Aventis, der das Produkt gemeinsam mit der amerikanischen Firma Transkaryotic Therapies entwickelt hat, lehnte damals ab. Ein Patentstreit in den USA verbiete es, so die Begründung, Dynepo bereits an die Dopinganalytik zu geben. Dabei muss das Präparat, sofern es tatsächlich schon Hochleistungssportler zu sich nehmen, aus den Laboren abhandengekommen sein. Jetzt erst lenkt Aventis ein: „Wir bemühen uns, das Präparat schnell zur Verfügung zu stellen“, sagte Aventis-Mitarbeiter Tilmann Kiesling der FR, obwohl der Patentstreit fortdauere.
Und die Sportverbände Schänzer und seine Kollegen sehen sich bei ihren Bemühungen alleine gelassen. Selbst an der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), sagt er, sei der neue Stoff bislang völlig vorbeigerauscht. Geht es nach Schänzer, sollte die Wada besser Kontakte zu Pharmakonzernen herstellen, „statt immer teure Kongresse zu finanzieren“. Dass Dynepo aber schneller nachgewiesen werden kann als von der UCI behauptet, davon sind die Dopingjäger überzeugt, zumal es auf gentechnischem Weg hergestellt wird. Ein Mitarbeiter aus Kreischa sagt, die Entwicklung eines Nachweisverfahrens dauere zwei bis drei Wochen – wenn das Präparat nur endlich zur Verfügung stünde.
Selbst bei hohen Konzentrationen galt Epo unter Dopern bislang als verhältnismäßig ungefährlich. Auch wenn Anfang der 90er Jahre einige scheinbar gesunde Radsportler auf rätselhafte Weise gestorben sind – meist im Schlaf an der für Epo-Missbrauch charakteristischen Verdickung des Blutes. Nun aber tauchen Berichte auf, nach denen in für den Epo-Gebrauch eigentlich vorgesehenen medizinischen Bereich Schwierigkeiten auftreten. Hunderttausende von Nierenkranken und Krebspatienten nehmen regelmäßig Epo, um damit ihre Blutarmut zu bekämpfen; sie können so auf sonst notwendige Bluttransfusionen verzichten. Für die meisten Patienten ist das ein Segen. Nun sind aber weltweit 141 Fälle bekannt geworden, in denen eine Einnahme die Bildung von Antikörper nach sich zog; Patienten gerieten durch den Mangel an roten Blutkörperchen in eine lebensbedrohliche Lage.
Unangenehme Nachrichten sind das für die Biotech-Hersteller. Zumal es sich bei Epo um eine hochprofitable Sparte handelt. Immerhin geht es um etwa fünf Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Und doch ist die Unverträglichkeit bei Spezialisten keine wirkliche Überraschung, ist doch laut Professor Wolfgang Jelkmann „Anti-Körper-Bildung bei gentechnisch hergestellten Präparaten schon lange bekannt“. Der Epo-Experte der Universität Lübeck, der sich auch im Kampf gegen Doping engagiert, hält es „für wichtig aufzuklären, ohne dass die Nierenkranken in Panik geraten“. Für Jelkmann steht fest: Immer noch überwiege klar der Nutzen, die Problemfälle lägen im Promillebereich. „Dennoch lässt sich die Gefahr nicht ausschließen“, speziell dann nicht, wenn Epo subkutan (unter die Haut) injiziert werde. Genau dies aber war laut Schänzer bei den aufgeklärten Fällen im Radsport (Zülle, Pantani, Virenque) gängige Praxis.
„Die benötigte wöchentliche Dosis ist bei subkutaner Anwendung geringer als bei intravenöser“, heißt es im vorab im Internet veröffentlichten Beipackzettel für Dynepo – also auch preiswerter, ein wichtiges Argument im Profisport. Ob sich auch bei Sportlern Anti-Körper bilden, bei an sich gesunden Menschen also, die nicht auf dieses Medikament angewiesen sind, darüber gibt es keine Erkenntnisse. Für gedopte Sportler bleibt es ein Blindflug.
Erschienen in Frankfurter Rundschau am 11. September 2002