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Ein Mann mit vielen Jobs

Die Marshallinseln sind beim Kongress als IHF-Mitglied aufgenommen worden, Tony Muller repräsentierte das Land. Handball gespielt wird auf den Atollen im Nordpazifik noch nicht.

 

Doha. Die Anreise? Oh, sagt Tony und schnauft durch. Die dauerte ein Weilchen. Eingestiegen war der 45-Jährige in Majuro, der Hauptstadt der Marshallinseln, inmitten dieses unendlich weiten Pazifiks. „Fünf Stunden nach Honolulu, fünf weitere Stunden nach Los Angeles“, erzählt Tony, aber das war erst der Anfang. Es ging nach weiter nach Washington D.C., International Airport Dulles, von da aus direkt nach Dubai, und wieder zurück nach Doha, Katar. Insgesamt, die Stopps eingerechnet, hat er für Reise vom Ende der Welt rund einen Tag gebraucht.

Dafür bewegt er sich nun im Zentrum des Handballs. Tony sitzt im Hotel Ritz Carlton in Doha, wo die Internationale Handball-Föderation (IHF) ihren XXXIV. Kongress abhält, mit weiteren Delegierten aus seiner Heimat, dem weiten Pazifik. Ein Kollege aus Guam sitzt mit am Mittagstisch des riesigen Saales „Al Mukthasar“, arabische Köstlichkeiten auf dem Teller, auch eine zierliche Frau aus Mikronesien, ein Mann aus Kiribati, der Präsident der neuseeländischen Handballer. Sie schmunzeln. Sie alle sind auch ähnlich abenteuerliche Weise nach Katar geflogen.

Ein paar Minuten später wird Tony hinter seine Landesflagge einmarschieren, bei festlicher Marschmusik, er umarmt IHF-Boss Moustafa, bekommt eine Urkunde und einen IHF-Wimpel in die Hand. Um 14.41 Uhr an diesem 26. Oktober reckt Tony, unter Beifall des Kongresses, die Faust in die Höhe. Tony lacht. Er hat Spaß in diesem Moment, in dem die Marschallinseln offizielles Mitglied der IHF sind, ausgestattet mit den gleichen Rechten wie der Deutschen Handballbund (DHB). Er hat offensichtlich ein Gespür dafür, wie bizarr dies alles ist.

Noch übertroffen aber wird dieser Aufnahmeakt durch die Vorgeschichte. „Mein Chef, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Marshallislands, war im Sommer 2012, drei Monate vor den Olympischen Spielen in London, beim ANOC-Kongress in Moskau“, erzählt Muller, ANOC, das ist die Organisation der Nationalen Olympischen Komitees. Und dort suchte sein Chef den Kontakt zum ANOC-Chef, Scheich Ahmad Al Fahad Al Sabah. Doch der war umringt von einer Wagenburg von Leibwächtern, erzählt Muller, also ersann der Mann aus der Südsee eine List: „Er schrieb eine Zettel und bat er einen der Leibwächter, dem Scheich die Nachricht zu überbringen, dass die Marshallislands gern in die IHF aufgenommen wollen werden.“ Das klappte. Der millionenschwere Scheich aus Kuwait, nicht nur der Königsmacher bei der Wahl Thomas Bachs zum IOC-Präsidenten, sondern auch Präsident der Asiatischen Handball-Föderation, vermittelte den Kontakt zur IHF-Zentrale nach Basel.

Die Marshallinseln: das sind zwei größere Atolle, auf denen die meistens der knapp 55 000 Einwohner leben. Insgesamt 1225 Inseln und 870 Riffe gibt es in einem Gebiet von zwei Millionen Quadratkilometern, das berühmteste ist das Bikini-Atoll, weil dort die Amerikaner in den 1950er Jahren Atomtests durchführten. Die Landfläche liegt im Schnitt nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Es ist heiß dort und feucht. „Wir lieben es, an der Sonne zu sein“, sagt Muller, aber diesen Satz hätte er sich auch sparen können. Er sieht aus, als sei Sonne sein wichtigstes Wahlprogramm.

1899 hatte Kaiser Wilhelm II. die Gebiete gekauft. Und wenn nicht die Japaner 1914 das Land dann besetzt hätten und 1945 die Amerikaner, dann wäre dort womöglich das deutsche Spiel Handball gespielt worden, und nicht US-Sportarten. „Baseball ist bei uns populär“, erklärt Muller, dessen Urahnen eigentlich Müller hießen. Einer der Vorfahren kam aus Hamburg. Ein Geschäftsmann, der um 1800 in die Südsee ausgewandert war, berichtet Muller. Im Laufe der gut zwei Jahrhundert ist der Umlaut verloren gegangen.

Mitglied im Handballweltverband sind die Marshallinseln schon einmal, aber eine Hochburg des Handballs wird wohl so schnell nicht entstehen auf dem Majuro-Atoll und auf Ebeye. Denn organisierten Handball gibt es dort nicht. Auf die Frage, wie viele Handballspieler es in seinem Land gibt, antwortet Muller, während er einen Nachtisch verspeist: „Um ehrlich zu sein: Bevor wir uns im September auf Guam getroffen haben, zu diesem Lehrgang mit dem netten Kerl von der IHF, hatten viele von uns noch nie ein Handballspiel gesehen.“ Die Kollegen aus Guam, Mikronesien und Kiribati nicken.

Der nette Kerl von der IHF, das ist Hristo Boskowski. Ein junger Mazedonier, der viele Sprachen spricht und mit ernsthafter Miene Sätze sagt wie: „Mikronesien ist euphorisch.“ Aber er weiß, dass es ziemlich ambitioniertes Projekt sein könnte, auf den Marschallinseln Hallenhandball zu etablieren. „Am liebsten möchten sie dort nur Beachhandball spielen“, das weiß er inzwischen. „Aber wir wollen sie dahin bekommen, dass sie auch Hallenhandball spielen.“ Die Funktionäre aus dem Pazifik anzuleiten, Handball zu lehren und zu organisieren, das ist eine seiner Aufgaben. Eine zweite, noch mehr Mitlieder im Pazifik zu akquirieren. American-Samoa zum Beispiel. „Dort wird schon Handball gespielt“, weiß Boskoswki. „Aber die Kommunikation ist schwierig. Das NOK hat es bisher verpasst, einen Kontakt herzustellen.“ Er klingt ein bisschen traurig. Weil es das 200. Mitglied in der IHF gewesen wäre und nur noch neun bis zum Weltverband FIFA.

Wie man in organisierten Strukturen arbeitet, das weiß Tony. Er grillt nicht nur auf den Marshallinseln. Tony ist Abgeordneter im nationalen Parlament. Im Hauptberuf arbeitet er als Manager in einer Telekommunikationsfirma. Aber Tony hat noch mehr Funktionen, wie seine eindrucksvolle Visitenkarte demonstriert. Unter seinem Namen „Senator Anthony M. Muller“ steht nicht nur: Vizepräsident des Handballverbandes. Er fungiert auch als Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitee der Marshallinseln, zuständig für Finanzen. Aber er ist nicht nur Vize. Er ist auch Präsident des Gewichtheber-Verbandes. „Yeah“, sagt er grinsend. „Ich habe viele Jobs.“ Derjenige, der am besten zu seiner Physis passt, ist das Gewichtheben. Muller ist kräftig gebaut, nicht dick zwar, aber doch gut genährt. Ein gemütliches Bäuchlein wölbt seine lässigen Hemden.

Ob es mit dem Handball klappt auf den Marshallinseln? Tony sagt, man dürfe bei der IHF nicht zu viel erwarten. „Beachhandball, das könnte das richtige für uns sein“, sagt er, wieder dieses entwaffnende Lächeln im Gesicht. Und die Jugend natürlich, die sei wichtig. „Ich setzte große Hoffnungen in das Schulprogramm.“ Auf jeden Fall hat er die Tage in Doha genossen, diese Stadt im Aufbruch, das Ritz Carlton, den Kongress, das Gala Dinner zum Abschluss. Aber zusagen will er noch nicht, dass er im Juni 2015 zur Weltmeisterschaft nach Doha kommen wird. „Es wird jemand von uns kommen“, sagt er und grinst. „Aber wenn ich an die Reise denke: Wer, das weiß ich noch nicht.“

Erschienen im Dezember 2013 in HANDBALL Time (#3).

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