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Doping im deutschen Fussball: Was liegt noch in den DFB-Schränken?

In einem Kurzgutachten von Freiburger Sportmedizinern heißt es, dass beim VfB Stuttgart und dem SC Freiburg in den 70er und 80er Jahren mit Anabolika gedopt worden sei. Das Wort «Struktur» und die Person Mayer-Vorfelder lassen aufhorchen.

 

Hamburg. Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich schnell zu Wort gemeldet. Selbstverständlich wolle man die Vorwürfe nun aufklären, sagte DFB-Vizepräsident Reiner Koch. „Wir sind grundsätzlich für Transparenz“, sagt Koch, der noch weitere Grundsätze hat. Denn „grundsätzlich“, betonte der Spitzenfunktionär des mitgliederstärksten Fußballverbandes der Welt ferner, sei der „DFB immer absolut gewillt, vergangene Vorgänge aufzuarbeiten“.

Diese Rhetorik ist zwingend nötig, da sich in diesen Tagen dunkle Schatten auf die Geschichte des deutschen Profifußballs gelegt haben. Denn die Evaluierungskommission an der Universität Freiburg hat dem VfB Stuttgart und dem SC Freiburg für die Jahre um 1980 „systematische Manipulation“ mit anabolen Steroiden vorgeworfen. Ein System: Das erschüttert die von den Lobbyisten gern verbreitete These, dass Doping im Fußball nichts helfe. – Und allenfalls verirrte Individuen wie Diego Maradona (Ephedrin, 1994) sich auf verbotene Pfade begäben.

Auf welchen Quellen fußt die Theorie der Freiburger Dopinghistoriker, die seit 2007, als der Skandal über das in Freiburg organisierte EPO-Doping beim Radsportstall Team Telekom publik wurde, über die Geschichte der Freiburger Sportmedizin forschen? Basis sind 60 Aktenordner aus einem Betrugsprozess gegen den berühmt-berüchtigten Sportarzt Armin Klümper – diese „Klümper“-Akten aus den 1980er Jahren waren erst vor einigen Monaten in einem Archiv der Freiburger Staatsanwaltschaft aufgetaucht.

Aus diesen Ermittlungsakten soll hervorgehen, dass Klümper diesen Fußballklubs in großem Umfang Anabolika-Präparate wie Megagrisevit geliefert hat; von Umsätzen über 10.000 DM jährlich ist die Rede. Es sei zwar nicht nachweisbar, an welche Sportler diese Präparate dann verabreicht wurden. Da aber die Klubs die Rechnungen des Doktors bezahlten, spricht Kommissionsmitglied Andreas Singler in dieser Praxis eine „Struktur“.

Auch der letzte Absatz in dem Kurzgutachten, das Singler ohne Abstimmung mit den anderen Mitgliedern und zur Überraschung der Öffentlichkeit publiziert hat, lässt Raum für Spekulationen. Denn darin wird behauptet, dass es allein der politische Wille auf Bundesebene, im Land Baden-Württemburg und auch in der Stadt war, dass Klümper 1976 trotz fehlender Qualifikationen derart komfortabel arbeiten konnte.

Das ist kein besonders gut versteckter Hinweis darauf, dass nach Meinung der Historiker Leute wie Dr. Gerhard Mayer-Vorfelder diese Dopingstrukturen erst ermöglicht haben sollen: Mayer-Vorfelder war nicht nur zwischen 1975 und 2000 Präsident des VfB Stuttgart, sondern auch Kultus- und Finanzminister in Stuttgart – und zwischen 2001 und 2006 auch DFB-Präsident.

Diverse Ex-Profis des VfB Stuttgart, die 1984 den Meistertitel gewannen, haben die Vorwürfe scharf zurückgewiesen. Vize-Weltmeister Karl-Heinz Förster etwa, auch der heutige Bundestrainer Joachim Löw. Der damalige VfB-Trainer Jürgen Sundermann nannte die Steroid-Berichte den größten Unsinn, den er je gehört habe. Der VfB und auch der SCF haben erklärt, sich nicht äußern zu können, weil man die Akten nicht kenne.

Aber damit wird es nicht getan sein. Nicht nur, weil von einem System die Rede ist. Sondern weil es hier um Klümper geht, der öfter provozierte mit Aussagen, dass er den Athleten lieber kontrolliert die Steroide verabreiche, bevor diese per Selbstmedikation zu hohe Dosen konsumierten. Die Tatsache, dass Anabolika seit 1974 (durch das Internationale Olympische Komitee) bzw. 1977 (durch den Deutschen Sportbund) sportrechtlich verboten waren, scherte ihn dabei wenig.

Und weil Klümper nach Angaben der historischen Kommission Megagrisevit lieferte – dieses Präparat wurde 1987 schlagartig berühmt, weil Klümper damit auch die Siebenkämpferin Birgit Dressel behandelt hatte. Dressel krepierte damals, weil sie unfassbare Mengen an verbotenen Substanzen und Medikamenten in sich reinstopfte – es war der spektakulärste Dopingskandal in Westdeutschland. Der Ruf Klümpers als sportmedizinischer Guru war danach ruiniert. Und auch das Image vom ach so sauberen Sport Marke Bundesrepublik.

Man wird abwarten müssen, bis der 60 Seiten umfassende Sonderbericht zu diesem Thema publiziert worden ist (was laut Aussage der Kommissionschefin Laetizia Paoli bis Ende des Jahres dauern wird). Klar ist, dass die Strukturen des deutschen Profifußballs in der fraglichen Zeit zwischen 1977 und 1989 Verstöße gegen das Dopingverbot geradezu provozierten. Denn bis zum Enthüllungsbuch „Anpfiff“ des Nationalkeepers Toni Schumacher (1987) verweigerte sich der Deutsche Fußballbund (DFB) radikal den „Rahmenrichtlinien zur Bekämpfung des Dopings“, die der Deutsche Sportbund 1977 nach einer großen öffentlichen Debatte beschlossen hatte.

Dopingkontrollen seien bei Amateuren wie bei Profis nicht erforderlich, „da nach meinen Erfahrungen von den Spielern Dopingmittel nicht genommen werden“ – dies hatte Heinrich Heß, der DFB-Nationalmannschaftsarzt, bereits 1976 erklärt. Und als es bei den deutschen Sportverbänden 1979 um Verfahrensfragen bei der Dopingbekämpfung ging, erklärte der DFB-Generalsekretär Hans Paßlack in einem internen Schreiben: „Die Rahmenrichtlinien des Deutschen Sportbundes zur Bekämpfung des Dopings sind keine Vorschriften mit rechtsverbindlicher Wirkung für die Spitzenfachverbände und ihre Vereine.“ Erst aufgrund des enormen Drucks, den Schumachers Buch entfachte, entschloss sich der DFB zu ersten Kontrollen.

Dabei gab es auch schon vor dem Schumacher-Buch zahlreiche Hinweise, dass Fußballprofis mithilfe unerlaubter Substanzen ihre Leistung steigerten. So erklärte 1978 Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der als Vereinsarzt beim FC Bayern-München seine Karriere startete, er wisse verbindlich, „dass in der Bundesliga hin und wieder gedopt wird“. Das betraf jedoch vor allem Aufputschmittel, also Amphetamine. Es gab damals eine Mannschaft, die bei Insidern als „Captagon-Elf“ bezeichnet wurde, nach dem gebräuchlichsten Aufputschmittel dieser Ära.

Schon 1962 hatte der Fußballverband Uruguays beim Weltverband FIFA wegen des verbreiteten Amphetamin-Missbrauchs beantragt, die Spieler während der WM 1962 in Chile zu kontrollieren – und zwar vor (!) dem Anpfiff. Die FIFA lehnte den Vorschlag ab. Die Folge waren Partien wie die berüchtigte „Schlacht von Santiago“, als Italiener wie losgelassene Kettenhunde auf die Chilenen losgingen. (Der Italiener Ferrini wurde nach sechs Minuten des Platzes verwiesen). Diese WM gilt heute Fußballhistorikern als das brutalste Weltturnier der Geschichte.  

Die FIFA zog Konsequenzen und führte für die WM in England Amphetaminkontrollen ein.

Drei Mitglieder der deutschen Vize-Weltmeister von 1966 wurden nach dem Viertelfinale tatsächlich auf das Amphetamin Ephedrin positiv getestet, aber das wurde erst 2011 bekannt. Die Mentalität, alle Möglichkeiten der Leistungssteigerung nutzen zu wollen, ist im Fußball auch für die 1980er Jahre dokumentiert worden. Als der DFB-Arzt Heinz Liesen den Fußballprofis während der WM 1986 in Mexiko 3000 Spritzen (!) eines Herzmittels verabreichte, war das auch ein Skandal.

Aber Anabolika-Missbrauch im Fußball ist für die 1980er Jahre bislang nicht belegt worden. Es existieren einzig schriftliche Quellen aus 1968, wonach Leistungsfußballer aus Berlin in den 1960er Jahren anabole Steroide einnahmen. Aber dass in den 1970er und 1980er Jahren für Fußballprofis mit Muskelverletzungen der Reha-Prozess mit Steroiden unterstützt wurde, davon ist getrost auszugehen. Erst um 1980 fand die Wissenschaft dann Beweise dafür, dass Anabolika auch die Regeneration beschleunige.

Es gäbe also viele historische Doping-Geschichten, die man über Zeitzeugeninterviews tatsächlich aufklären könnte – wie man das seriös macht, hat ein Recherche-Team für die ZDF-Dokumentation „Das Wunder von Bern“ demonstriert. Der DFB hat sich als Aufklärer bisher keinen Namen gemacht. Im Gegenteil: Als eine Forschergruppe vor einigen Jahren um Akteneinsicht im DFB-Archiv bat, um die Vorgänge rund um das Schumacher-Buch zu rekonstruieren, sollte sie einen unakzeptablen Knebelvertrag unterschreiben: Öffentliche Aussagen über die DFB-Akten seien zunächst vom DFB zu genehmigen.

Das sind Forderungen, die in der Geschichtswissenschaft völlig unüblich sind. Und die in Wirklichkeit Transparenz oder Aufklärung torpedieren. Insofern wird es jetzt interessant zu beobachten sein, ob der DFB an seiner Archiv-Praxis etwas grundsätzlich ändert.

Erschienen am 5. März 2015 in der Aargauer Zeitung.

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