Der Amerikaner gewann als einziger Athlet der Welt bei Sommer- und Winterspielen Gold und widerstand der Verlockung, Profi zu werden.
Frank Meriwell war sein Jugendheld. Die Hauptfigur eines Groschenromans, ein Genre, das die Amerikaner abschätzig „Dime novel“ nennen. Frank predigte Askese, rauchte nicht, trank keinen Alkohol und war ein großer Sportler. Edward Eagan, genannt Eddie, verschlang als Zwölfjähriger die billigen Hefte und erkor die literarische Kunstfigur zu seinem Idol. Dass sein Leben so verlaufen würde wie in diesen klischeehaften Plots, konnte der amerikanische Junge nicht wissen.
Zwei Jahrzehnte später ging Eddie Eagan in die olympische Geschichte ein. Nachdem er bereits bei den Sommerspielen 1920 Olympiasieger geworden war, gewann er 1932 auch eine Goldmedaille bei Olympischen Winterspielen. Kurz nach Ersten Weltkrieg hatte Eagan in Antwerpen das Halbschwergewicht im Boxen dominiert, in Lake Placid saß er dann in dem erfolgreichen Viererbob. Er ist der einzige Athlet, der dieses Kunststück schaffte. Stoff genug für ein modernes Märchen des Sports. Wenn man so will: für einen olympischen Groschenroman.
Eagans Biografie ist die eines typisch amerikanischen Selfmademans. Ein Jahr nach seiner Geburt am 26. April 1897 in Denver starb sein Vater bei einem Eisenbahnunglück, und so zog die aus dem Elsass stammende Mutter ihre fünf Söhne allein auf. Umgesiedelt in die Kleinstadt North Longmont, sorgte Eddie bereits in der High School für sich selbst, er trug Zeitungen aus und half in einer Telefongesellschaft oder in einer Kirche. Dem Jugendlichen blieb so kaum mehr Zeit für Sport. Aber er blieb beim Boxen, das er auf einer Farm kennen gelernt hatte. Eagan feierte schnell Erfolge im Ring, er durfte sogar gegen den jungen Jack Dempsey antreten, der bereits als kommender Weltmeister gehandelt wurde. Genauso ehrgeizig feilte er jedoch an einer akademischen Karriere und bekam das ersehnte Universitäts-Stipendium.
Der Erste Weltkrieg unterbrach das Jura-Studium, Eagan ging als Leutnant der Artillerie nach Paris, wo er zu Bürodiensten eingesetzt wurde. Als dort 1919 die „Inter-Allied Games“ ausgetragen wurden, errang der Halbschwergewichtler seinen ersten großen internationalen Sieg. Als sein Kommandeur ihm etwas Gutes tun wollte, erbat der Bildungshungrige den Zugang zur Unterzeichnung des Friedensvertrages, die ein paar Tage später stattfinden sollte. Im berühmten Spiegelsaal von Versailles spürte der 22-Jährige den Atem der Geschichte. Und dachte daran, während er Clemenceau, Wilson und Lloyd George beäugte, was für ein schöner Platz das wäre, um Schatten zu boxen.
Ein Jahr später, mittlerweile an der berühmten Universität von Yale studierend, kämpfte sich Eagan in Antwerpen zum Olympiasieg. Aber auch danach erlag er nicht den Verlockungen des Profiboxens – der Manager Dempseys etwa wollte ihn verpflichten –, sondern widmete sich dem Studium. Nach Examen in Yale und Harvard setzte er sein Studium als „Rhodes Scholar“-Stipendiat im elitären Oxford fort. Dort schloss er Freundschaft mit dem Lord of Clydesdale, einem Boxer aus der Universitätsstaffel, der – als Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess ihn mit seinem Englandflug zu einem Waffenstillstand zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich bewegen wollte – im Zweiten Weltkrieg als Duke of Hamilton für Furore sorgte.
Mit dem Lord reiste Eagan auch um die Welt, nachdem er bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris – jetzt im Schwergewicht – in der Vorrunde ausgeschieden war. Zwei Jahre lang reisten sie, und überall boxten sie gegen die lokalen Champions, ob in Kairo, Kenia, Bombay, Hongkong, Sydney oder Buenos Aires.
Man kann diese Welt-Tournee auch als ausgedehnten Abschied vom Junggesellendasein betrachten. Zwar diente er Gene Tunney vor dessen Chicagoer WM-Rückkampf gegen Jack Dempsey noch als Sparringspartner. Doch danach und nach dem zweiten Jura-Examen heiratete er Margaret Colgate, die reiche Erbin des Konzerns Colgate-Palmolive, und gab das Boxen auf.
Sein weiterer beruflicher Weg liest sich als Erfolgsgeschichte. Seit 1932 zugelassen, arbeitete er als angesehener Anwalt, bis er am 14. Juni 1967 starb. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er als Oberst an der Front.
Nur einmal noch wollte Eagan wieder die Boxhandschuhe anziehen. Er fühle sich noch gut in Form, schrieb er Ende 1931 hoffnungsvoll in seiner frühen Autobiografie „Fighting for Fun“, wahrscheinlich würden die Leser seinen Namen in den Listen des olympischen Boxturniers von Los Angeles 1932 wiederfinden. „Ich bin bereit, mir den Titel wiederzuholen“, so Eagan, aber er trat nicht an.
Von Ambitionen im Wintersport war dort nicht die Rede. Und doch gehörte Eagan wenige Wochen später zu jenen Gladiatoren im Viererbob, die am 15. Februar 1932 in vier Schussfahrten die Goldmedaille holten. Dass sich das Team einen erlaubten Vorteil verschaffte, indem es die Kufen mit einer Lötflamme erwärmte, wird Fußnote bleiben. Eddie Eagan hingegen sicherte sich seinen Platz in der olympischen Geschichte.
Erschienen am 9. Februar 2002 in der WELT.