Vor 40 Jahren erfand der englische Schiedsrichter Ken Aston die gelben und roten Karten – die Idee kam ihm, als er mit seinem Sportwagen vor einer Ampel stand.
Die Erleuchtung kam Ken Aston an einer roten Ampel. Der Engländer fuhr am 24. Juli 1966 mit seinem Sportwagen auf der Londoner Kensington High Street, und er grübelte immer noch über diesen handfesten Skandal vom Vortag: Im WM-Viertelfinale zwischen England und Argentinien (1:0) war es in der 37. Minute beinahe zum Spielabbruch gekommen, als der Stuttgarter Schiedsrichter Rudolf Kreitlein den Argentinier Alberto Rattín des Feldes verwies. Denn der Spieler tat so, als verstünde er die unmissverständliche Handbewegung des Unparteiischen nicht. Immer wieder hob er mit Unschuldsmiene die Schultern, ungeachtet seiner vier brutalen Fouls, die er schon auf dem Konto hatte, ungeachtet auch seiner beleidigenden Gesten und Worte gegenüber Kreitlein. Zehn Minuten währte das Theater, die 100 000 Zuschauer im Wembley-Stadion tobten, erst dann hatten Kreitlein, der hinzugeeilte Schiedsrichter-Obmann Aston und ein Bobby den Widerstand Rattíns – „the rat“, wie die englische Presse ihn danach taufte – gebrochen und ihn vom Platz entfernt.
Die zündende Idee, wie solche Szenen künftig zu verhindern sind, kam Aston nun, als die Ampel auf Rot sprang. Sie war genial einfach: „Yellow: take it easy, red: stop, you are off“, berichtete er später – und übertrug diese Farbenlehre des Straßenverkehrs, die 1920 der Polizist William Potts erfunden hatte, auf den Fußball. Aston leitete damals die Schiedsrichterkommission der Fifa und überzeugte den Weltverband, die neuen Regelung bei der WM 1970 in Mexiko zu erproben: Gelb bedeutet scharfe Verwarnung, Rot das sofortige Duschen. Sogar die Millionen Zuschauer an den TV-Geräten kapierten diesen Strafenkatalog sofort – das Farbfernsehen war eben eingeführt worden.
Der erste Fußballer, der den gelben Signalkarton sah, war der Sowjetrusse Jewgeni Lowtschew im WM-Eröffnungsspiel gegen Mexiko. Verwarnt hat ihn der deutsche Schiedsrichter Kurt Tschenscher, damals der Weltbeste seiner Zunft. 45-mal wurden die Fußballprofis 1970 in Mexiko verwarnt. Die erste rote Karte aber wurde erst vier Jahre später gezogen. Der chilenische Stürmer Carlos Caszely musste nach einem Revanchefoul an Berti Vogts vom Platz, in der zweiten Halbzeit des Eröffnungsspiels der WM 1974.
Aston, im Hauptberuf Schuldirektor, hat aber nicht nur mit der Erfindung der gelben und roten Karten Fußballgeschichte geschrieben. Er leitete 1962 das wohl schmutzigste WM-Spiel aller Zeiten, die „Schlacht von Santiago“. Im Vorrundenspiel zwischen Gastgeber Chile und Italien (2:0), einem „Weltkrieg der Fußtritte“, wie eine Zeitung schrieb, sahen die Zuschauer wüste Holzereien und einen Faustschlag, mit dem der Chilene Sanchez das Nasenbein des Italieners Maschio zertrümmerte. Aston war in diesen 90 Minuten hoffnungslos überfordert – und ließ die erregten Profis gewähren. Es war sein letztes Spiel als Schiedsrichter.
An Ideenreichtum hatte es dem Mann aus Colchester, Essex, freilich nie gemangelt. Schon vor der WM 1966 hatte er durchgesetzt, Druck und Gewicht der Spielbälle zu normieren. Neu war 1966 in England auch, dass ein Ersatzschiedsrichter zur Verfügung stand, um eventuell einzuspringen. Und 1947 hatte er in England signalgelbe Fahnen für die Linienrichter eingeführt. Am 23. Oktober 2001 starb der Erfinder der Farbenlehre des Fußballs 86-jährig in Ilford.
Erschienen am 19. Juni 2006 in der Financial Times Deutschland.