Mit einer Reality-Show sollen Basketball- und Football-Spieler zu einem Nationalteam umgeschult werden.
KÖLN. An einem Wochenende Anfang Juni sitzt Dennis Berkholz, 72 Jahre alt, wohnhaft in Ponte Vedra, Florida, in einem Kölner Nobelhotel und genießt den Rummel. Es läuft das Final-Four-Turnier in der Champions League des Handballs. Stars wie Nikola Karabatic, Thierry Omeyer und Filip Jicha geben Interviews, unzählige Journalisten und Spielerberater bevölkern das Spielerhotel. Am Tisch nebenan sitzt Hassan Moustafa, der Präsident der Internationalen Handball-Föderation, und diskutiert mit Funktionären.
Berkholz ist nicht als Fan nach Köln gereist. Auch nicht in seiner Funktion als Director Beach-Handball der Vereinigten Staaten, wie es auf seiner Visitenkarte zu lesen steht. Berkholz wirbt bei den Managern um ein großes Projekt, das einen der größten weißen Flecken auf der Handball-Landkarte tilgen soll: Er will endlich Handball in den Vereinigten Staaten bekannt machen. Und zwar mit Hilfe des Fernsehens, der Arbeitstitel lautet „Handball in Hollywood“. „Wir arbeiten seit dem vergangenen Jahr an einer Reality-Show zum Handball„, berichtet Berkholz. „Das liegt aktuell in der Hand von Producern in Hollywood.“
Präziser: bei Alex Katz, der eng mit dem TV-Sender NBC kooperiert. NBC hat die TV-Rechte für den Markt der Vereinigten Staaten auch für die Olympiaden von 2021 bis zum Ende der Spiele 2032 gekauft, im Wert von 7,65 Milliarden Dollar. Nur ist Katz im Sport bislang nicht aufgefallen. Sein Business ist das Entertainment. Er hatte große Quotenerfolge im Fernsehen mit Serien wie „The Biggest Loser“, eine Show, in der übergewichtige Menschen beim Abnehmen mit der Kamera begleitet werden, und den ebenfalls nach Deutschland verkauften „Bachelor“-Staffeln.
Doch seit einiger Zeit interessiert sich Katz vom großen Sender NBC für den Handball. Er reiste im vergangenen Jahr ebenfalls nach Köln, zum Final-Four-Turnier der Champions League. Und auch das WM-Finale 2017 in Paris sah sich der Producer an. Katz sei begeistert von der Dynamik und Physis des Spiels, erzählen Handball-Funktionäre, die ihn bei dieser Gelegenheit kennengelernt haben. Katz sehe Handball als Stoff für große Geschichten.
Geplant ist, dass die Show, deren Produktionskosten bei mehr als drei Millionen US-Dollar liegen sollen, schon in diesem Herbst startet. „Unser Konzept besteht darin, ältere Athleten aus anderen Sportarten zu suchen, sie im Handball zu trainieren und in realen Wettkämpfen antreten zu lassen“, sagt Berkholz. Die Produzenten suchen mindestens je acht Sportler aus dem Basketball und dem American Football. Je größer der Ruhm der Athleten in ihren ursprünglichen Sportarten, so Berkholz, desto besser lasse sich die Verwandlung zum Handballer vermarkten. „Unsere Hoffnung ist, daraus ein Nationalteam aufzubauen, das sich für Weltmeisterschaften und für die Olympischen Spiele qualifizieren kann.“
Berkholz ist wohl bewusst, dass viele europäische Experten dies für eine utopische Vorstellung halten. Aber er glaubt daran, weil er ein solches Projekt selbst schon erlebt hat. Als der damalige deutsche Präsident des Handballverbandes der Vereinigten Staaten, Peter Buehning, im Jahr 1969 eine entsprechende Vereinbarung mit dem Pentagon traf, bauten der Verband und die Militärs innerhalb von nur wenigen Monaten eine schlagkräftige Truppe auf, die sich für die Olympischen Spiele 1972 in München qualifizierte. Dort schlugen die Amerikaner sensationell Spanien und unterlagen der Handball-Großmacht Dänemark mit nur einem Tor Unterschied. Berkholz war der erste Basketballer, der für dieses Projekt gecastet wurde. Er führte das Team als Kapitän nach München. Die Geschichte wird zurzeit verfilmt.
Für die Funktionäre des Handballs ist das TV-Projekt ein Silberstreif am Horizont. Denn bisher sind die Vereinigten Staaten, der wichtigste Sportmarkt der Welt, im Handball eine Terra incognita. Unter Handball verstehe man in den Staaten eine Art Squash, hat kürzlich der in North Carolina lebende Deutsche Claus Fey, Weltmeister von 1978, berichtet. Zahlreiche Unternehmungen, die Szene zu beleben, sind grandios gescheitert, darunter die Versuche, Handball vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles und 1996 in Atlanta bekannt zu machen. Zuletzt startete der frühere deutsche Unternehmer Horst-Dieter Esch ein Projekt. Doch auch das Länderspiel zwischen Deutschland und Polen, das 2010 reißerisch als „Battle of Chicago“ verkauft wurde, änderte nichts an der Tristesse.
Die Idee, über die Entertainment-Schiene die Sportart in den Vereinigten Staaten bekannter zu machen, stößt auch beim Weltverband IHF auf Interesse. Dessen Präsident Hassan Moustafa traf sich in Paris mit dem NBC-Producer und sagte seine Unterstützung zu. „Das ist sehr interessant, was in den Vereinigten Staaten passiert“, sagt Moustafa, der allerdings beim Beachhandball, das womöglich im September 2017 olympisch wird, mehr Potential für die Amerikaner sieht als im Hallenhandball. Es wird geraunt, dass die IHF sogar eine Vermarktungsgesellschaft gründen wolle, um das Projekt zu begleiten. Die führenden europäischen Handballklubs sind involviert und begrüßen das TV-Projekt.
Am Ende wird die Entwicklung der nationalen Auswahl über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Brasilien hat es vorgemacht: Das Frauenteam aus Südamerika gewann 2013 den WM-Titel. Beide Nationalmannschaften erreichten im olympischen Turnier 2016 in Rio de Janeiro das Viertelfinale. Es wäre schon ein großer Schritt, wenn sich die Spieler der Vereinigten Staaten 2019 für die Panamerika-Meisterschaften qualifizieren würden. Dort werden die Teilnehmer für die Männer-WM 2019 in Deutschland und Dänemark ermittelt.
Die Ausgangslage ist also, weiß Berkholz, kompliziert. „Es wird sehr, sehr schwierig. Unser Ziel ist es, bis 2024 unter die zwölf besten Teams der Welt zu gelangen“, sagt er. „Realistischer ist es wohl, das Team bis zum Jahr 2028 unter die zehn besten Mannschaften der Welt zu bringen, also in den nächsten zehn Jahren. Man braucht viel Zeit, um junge Spieler zu Weltklassehandballern zu entwickeln.“ Ob die Olympischen Spiele 2024 oder erst 2028 in Los Angeles stattfänden, sagt Berkholz, spiele dabei nur eine Nebenrolle. „Das ist nicht sehr wichtig für unsere Reality-Show“, sagt er. In Hollywood steht ja nicht der Sport im Zentrum, sondern Entertainment.
Erschienen am 19. Juni 2017 in der FAZ.