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Dachschaden

Günter Netzers erster Jaguar brachte die Popkultur in die Bundesliga. Im neuen Fußballmuseum des DFB soll der legendäre Sportwagen nicht gezeigt werden. 

Früh heiraten, schnell Kinder kriegen, die Haare nicht über die Ohren wachsen lassen, immer ordentlich den Rasen im Vorgarten mähen und einen Opel Kapitän vor der Haustür parken – so sah in der ausklingenden Uwe-Seeler-Ära das Idealbild des deutschen Bundesligaspielers aus. Angepasst und brav.

Dann kam das Jahr 1968.

Günter Netzer, 23, lange Mähne, cooler Blick, fuhr mit einem anthrazitgrauen Jaguar E-Type, sechs Zylinder, 4,2 Liter Hubraum, 269 PS, bei Borussia Mönchengladbach vor. Der Sportwagen hatte 26000 Mark gekostet, für den jungen Hedonisten vom Niederrhein damals noch ein kleines Vermögen.

Von heute aus betrachtet lässt sich sagen: Netzers Jaguar markiert eine Zeitenwende im deutschen Profifußball. Sein Playboy-Mobil war ein Symbol gegen den Mief, die Popkultur hielt Einzug in die Bundesliga.

Fußballer sind Rockstars, lautete die revolutionäre Botschaft, die sich mit Net-

zer und seinen Sportwagen verbindet. Im Laufe der Zeit legte er sich viele zu, etwa einen Porsche 911, einen Ferrari Dino, einen Ferrari Daytona. Von seinem Jaguar existieren nur noch wenige Aufnahmen. Mit seinen späteren Flitzern ließ Netzer sich fotografieren, als wären sie die schönsten Frauen.

Den E-Type fuhr Netzer zwei Jahre, dann verkaufte er ihn weiter. Der neue Besitzer war Franz Beckenbauer. Netzer war auf der Autobahn von einem Ferrari Dino überholt worden. So ein Geschoss aus Italien wollte er fortan auch, und als er Beckenbauer bei einem Training der Nationalmannschaft von seinen Plänen berichtete, schlug der Kapitän des FC Bayern zu. Für 10000 Mark gehörte der Jaguar nun ihm.

Doch Beckenbauer, bereits dreifacher Familienvater, wurde mit dem schnittigen Zweisitzer nicht glücklich. Das Faltdach war undicht, die Bremsen zogen nicht richtig. Kurz darauf, so erinnert sich Netzer, habe Beckenbauer ihn angerufen und als „Betrüger“ beschimpft: „Was ist denn das für ein Auto? Das regnet ja rein.“ Bald stieß der Münchner Libero den Jaguar für 7500 Mark an einen weiteren deutschen Nationalspieler ab: Wolfgang Overath, den Kapitän des 1. FC Köln.

Overath fand mehr Gefallen an dem Jaguar als Kaiser Franz, nur die Farbe passte ihm nicht: Er ließ ihn lila umspritzen. Als Netzer den frisch lackierten Wagen damals wiedersah, hätte er „fast einen Herzstillstand erlitten“.

So erzählte er es nach einer Fernsehgala im Jahr 2005 zu Franz Beckenbauers 60. Geburtstag, bei der Günter Netzer den legendären Jaguar ins Studio steuerte. Wolfgang Overath hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Der Wagen hatte wieder die Originalfarbe, er war in den Händen eines Restaurators gelandet, nachdem Overath ihn verkauft hatte.

Wer sich heute auf die Suche nach Netzers Jaguar macht, stößt auf einen 66-jährigen Oldtimer-Liebhaber aus Berlin-Charlottenburg. Er redet gern über das Auto. „Ein ziemlich frecher Feger“, sagt der promovierte Maschinenbauingenieur, „sehr sportlich und knackig, nichts für Weicheier.“

Vor geraumer Zeit bekam der passionierte Autosammler aus der Hauptstadt einen Anruf. Am Apparat war Martin Wörner, der Kurator des Museums, das der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Jahr 2015 eröffnen will.

Nach der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land hatte der Verband beschlossen, für 36 Millionen Euro die deutsche Fußballgeschichte erlebbar zu machen. Die Wahl fiel auf den Standort Dortmund, man rechnet mit 250000 Besuchern pro Jahr.

Museumsmann Wörner wusste, dass Netzers Sportwagen mit seiner Geschichte ein Highlight der Dortmunder Ausstellung sein würde. Er zeigte reges Interesse. Der Jaguar ist grandios restauriert, nur im Kofferraum ist ein Rest der lilafarbenen Overath-Epoche zu sehen. „Ich habe dem Kurator das Auto für rund 100000 Euro angeboten“, sagt der Berliner Besitzer, „das ist es mindestens wert.“

Doch das Geschäft kam nicht zustande. In Museumskreisen kursiert die Version, der DFB habe Abstand von dem Kauf genommen, weil Verbandssponsor Mercedes-Benz einen „Interessenkonflikt“ ausgemacht habe.

Kein Jaguar in Daimler-Land? DFB-Mann Martin Wörner will das so nicht stehenlassen. Er führt „inhaltliche Gründe“ an, auch sei der Preis „nicht gerade günstig“.

Mittlerweile ist der Besitzer des früheren Netzer-Flitzers nicht mehr verhandlungsbereit. „Selbst wenn der DFB noch einmal käme, würde ich das Auto nicht mehr verkaufen“, sagt er, „meine Frau hat es mir verboten.“

Im Dortmunder Fußballmuseum soll nun der Teambus ausgestellt werden, mit dem die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 2012 durch Polen und die Ukraine fuhr – ein Mercedes-Benz.

 

Gemeinsam mit Michael Wulzinger. Erschienen in Der SPIEGEL am 16. Dezember 2013.

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