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Flüchtlingsteam: Politischer Akt mit Brisanz

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt sich für die Entsendung des Flüchtlingsteams in Rio feiern. Dabei widerspricht es der Olympischen Charta, dem Grundgesetz der Olympischen Bewegung. Zudem birgt es sportpolitisches Konfliktpotenzial.

 

Es waren pathetische Sätze, die einem Hollywood-Drehbuch entstammen könnten. „Wir Flüchtlinge werden eine Botschaft an die Welt senden“, kündigte der syrische Schwimmer Rami Anis an, der im zehnköpfigen Team der Flüchtlinge unter der olympische Flagge bei den Olympischen Spielen starten wird. „Unsere Leidenschaft für unseren Sport starb, das war das Ergebnis der Kriege in unserer Heimat. Unser Leben kehrt nun mit diesem Team zurück.“

Sie hoffe, dass alle Flüchtlinge von dieser Story lernten, sagte seine syrische Landsfrau, die 18jährige Schwimmerin Yusra Mardini, die sich in Berlin auf die Spiele vorbereitet hat, nachdem sie auf abenteuerliche Weise über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet war. Sie wolle mit ihrem Beispiel Mut geben: „Ich hoffe, dass jeder weiter an der Verwirklichung seiner Träume arbeitet.“

Und dann preiste Tegla Loroupe, die frühere Langstreckenläuferin aus Kenia, als Chefin dieses Flüchtlingsteams den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, für die Entsendung dieser zehn Sportler überschwänglich. Perfekte PR für das IOC, dessen Image wegen des Umgangs mit dem russischen Doping-Skandal heftig ramponiert ist.

Es gibt eine historische Parallele, an die nun im Journal of Olympic History erinnert wird: Schon vor den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki forderte eine Vereinigung die Teilnahme eines Flüchtlingsteams, da nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche hochdekorierte Athleten, viele aus Ungarn, vor den Kommunisten in den Westen geflohen waren. Wichtige Funktionäre wie der US-Amerikaner Avery Brundage, der kurz daraufhin IOC-Präsident wurde, hegten Sympathie für das Ansinnen. Aber das IOC lehnte das Begehren brüsk ab. Die Begründung: Allein Nationale Olympische Komitees (NOK) könnten Athleten zu den Spielen zu entsenden.

Und diese Regel existiert heute noch, im Paragraph 27.7.2 der Olympischen Charta. „Wenn man die Charta dem Sinn und dem Wortlaut genau folgt, dann ist klar, dass nur Nationale Olympische Komitees Sportler zu den Spielen entsenden dürfen“, sagt der Kölner Sporthistoriker Manfred Lämmer, der die Charta auf Deutsch herausgegeben hat. Wenn das IOC nun entscheide, die Flüchtlinge unter olympischer Flagge starten zu lassen, sei das „nicht weniger als eine Entmachtung der Nationalen Olympischen Komitees, rechtlich ist das äußerst bedenklich.“

So sieht es im Prinzip auch das Ehrenmitglied des IOC, Walther Tröger. „Es ist im Prinzip eine Entmachtung der NOK, und ist aus meiner Sicht klar, dass dies nicht zur Regel werden darf“, sagt er. Er habe „schon länger darauf hingewiesen, dass viele Regeln aus der Olympischen Charta einer Überprüfung unterzogen werden müssten“. Andererseits will er diesen politischen Akt nicht geißeln: „Die Welt ist verrückt, und das IOC muss irgendwie auf diese Verrücktheiten reagieren.“ Wenn ein NOK eines Landes nicht arbeitsfähig sei, „dann müssen Sportler doch die Möglichkeiten haben, an den Spielen teilzunehmen“.

Auch Tröger ist die Brisanz, die in dem Flüchtlingsteam steckt, freilich bewusst. „Was passiert denn, wenn sich das IOC entscheidet, Flüchtlinge aus dem Iran unter IOC-Flagge starten zu lassen, und ein iranischer Flüchtling muss gegen einen iranischen Athleten antreten, der unter iranischer Flagge startet?“, fragt Lämmer rhetorisch. „Das Ganze funktioniert nur, weil die Nationalen Olympischen Komitees, aus deren Gebieten die Flüchtlinge stammen, nicht opponieren.“ So blieb das syrische NOK stumm, obwohl es auf dem Papier existiert. Es entsendet sieben Athleten nach Rio.

Erschienen in ZDF Online am 2. August 2016.

 

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