Ein Prediger des schönen Spiels: Zum Tode der Handball-Legende Bernhard Kempa.
HAMBURG. Als der Trainer Bernhard Kempa seinen letzten großen Titel einheimste, war ihm nicht nach Jubelgeheul zumute. Die Schlägereien im Finale um die deutsche Meisterschaft 1970, das Frisch Auf Göppingen vor 11 200 Fans in der Frankfurter Festhalle gegen den VfL Gummersbach gewann (22:18), ließen ihn nachdenklich zurück. Kempa entschuldigte sich nach der Partie dafür, dass seine Spieler „mit Volldampf in die Partie gegangen“ seien, und gestand öffentlich ein, derartige Spiele nicht mehr zu ertragen. Während die Fans den Sieg begossen, forderte der Coach eine bessere Schiedsrichterausbildung. Andernfalls, fürchtete er, werde der Handball „zu einer Art Eishockey“ mutieren.
Als Spieler hatte Kempa das schöne, schnelle Spiel geliebt, technisch versierte Ballstafetten und Trickwürfe. Und auch als Trainer predigte er seinen Spielern förmlich das ästhetische Spiel, weil er fest an dessen Überlegenheit glaubte. Und vor allem verkörperte er wie viele große Charaktere aus seiner Generation, die Hein Dahlinger, Hinrich Schwenker oder Horst Käsler hießen, das Fair Play. Härte im Handball war ihm zuwider. Diese ritterliche Haltung, die er stets lebte, hat erst seinen Ruf als Handball-Legende ermöglicht. Und deswegen war die Anteilnahme im Handball so groß, als nun die Nachricht seines Todes kam: Am Donnerstag ist Kempa, einer der größten Handballer des 20. Jahrhunderts, im Alter von 96 Jahren gestorben.
Sein Name freilich wird wohl ewig weiterleben, zumindest solange Handball gespielt wird. Denn er ist der einzige Handballspieler auf diesem Globus, dessen Name ein Spielzug trägt. Wie dieser „Kempa-Trick“ funktioniert, erklärte der Urheber später immer so: „Der Rückraumspieler nimmt kurzen Blickkontakt mit dem Außen auf, der läuft an und springt ab – und während er das tut, spielt der Rückraumspieler ihm den Ball über die Abwehr hinweg zu, der Außen fängt den Ball in der Luft schwebend und kann ihn am überraschten Torwart vorbei leicht ins Tor werfen.“ Ein Element, das heute – technisch wie taktisch – zum Standardrepertoire aller Leistungshandballer zählt.
Kempa hatte diese Variante als Spielertrainer bei Frisch Auf Göppingen entwickelt, in der Wintersaison 1953/54. Die Mannschaft hatte dies zunächst nur im Training einstudiert. Zur Welt-Uraufführung kam es dann am 24. Februar 1954 in Karlsruhe, im Rahmen eines inoffiziellen Ländervergleichs gegen Schweden, das als frischgebackener Weltmeister das Nopplusultra im Hallenhandball darstellte. Der erste Versuch ging noch schief, weil das Anspiel zu flach erfolgte. Aber dann klappte der Trick, der auch die Schweden begeisterte.
In dieser Ära erlebte Kempa als Spieler seine größte Blüte, er galt als einer der besten Handballer der Welt, und zwar auf dem Feld wie in der Halle. Zweimal, 1952 und 1955, führte er die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) zur Weltmeisterschaft im Feldhandball, 1954 holte er in der Halle WM-Silber. Kempa hätte noch viel mehr Länderspiele bestritten und große Titel gewonnen, wenn er nicht seine besten Jahre als Handballer durch den Zweiten Weltkrieg verloren hätte.
Am 19. November 1920 in Oppeln (Schlesien) geboren, hatte er sich, wie die vier Brüder und zwei Schwestern, zum geliebten Handball schleichen müssen, weil seine Eltern Sport kategorisch ablehnten. „No Sports – Schule und Kirche waren wichtiger“, erinnerte sich Kempa in seiner Autobiographie. Sein großes Talent wurde in der schlesischen Handballhochburg schnell erkannt, schon im Herbst 1937 wurde über Kempa in überregionalen Handballzeitschriften berichtet.
Sein Talent als Sportler war so groß, dass er wohl auch in anderen Sportarten hätte reüssieren können. In der Nachkriegszeit bemühten sich die Fußballer des TSV 1860 München um Kempa, allein das Veto der Handballabteilung des Klubs verhinderte seinen Einsatz in einem Oberligaspiel beim 1. FC Nürnberg. Kempa war auch ein starker Tischtennisspieler und gewann als Senior drei WM-Titel im Tennis. Mit FA Göppingen holte er dreimal die württembergische Basketballmeisterschaft.
Bereits als Spielertrainer hatte er sich einen sagenhaften Ruf geschaffen, als er Frisch Auf Göppingen als blutjunges Team 1954, 1955 und 1957 zur deutschen Meisterschaft führte – diese Mannschaft hieß damals nur „die Kempa-Buben“. Auch nach seiner Karriere wirkte der Sportlehrer höchst erfolgreich: Fünfmal führte er Göppingen nach 1957, als er seine aktive Laufbahn beendete, zur deutschen Meisterschaft (1958-1961, 1970) und formte dabei zahlreiche Nationalspieler. Sein größter Erfolg als Trainer: der Sieg im Europapokal der Landesmeister 1960 in Paris. Der Aufstieg Göppingens zu einer Hochburg des Handballs ist jedenfalls untrennbar mit Bernhard Kempa verbunden.
Als Kempa nach dem vermaledeiten Endspiel von Frankfurt als Trainer Göppingens zurücktrat, blieb er weiterhin dem Handball verbunden. So lehrte er beispielsweise das amerikanische Team, das sich auf die Olympischen Spiele 1972 in München vorbereitete, die Finessen des Hallenhandballs. Eine Episode, die heute vergessen ist. Der Kempa-Trick wird indes sogar weiterleben, wenn irgendwann nur noch Beach-Handball gespielt werden sollte. Dort zählt ein Tor, das auf diese Weise erzielt worden ist, doppelt. Eine Regel, die Bernhard Kempa sehr gefallen hat.
Erschienen am 24. Juli 2017 in der FAZ.