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Sensible Situation

Der Sportinformationsdienst hat (k)ein Problem mit Michael Ballack.

 

Schlagzeilen über Michael Ballack gab es in jüngster Zeit zur Genüge. Angebliche Wechselabsichten nach Madrid, der mögliche Grad seiner Verletzungen, sein Stellenwert im Klub, zuletzt die spektakuläre Nicht-Nominierung in den Kader des FC Chelsea für die Vorrunde der Champions League – ein wahres Füllhorn von Nachrichten über den einzigen deutschen Fußballer von Weltformat. Ein wichtiger Akteur des Fußballmarktes hält sich dennoch seit Monaten merklich zurück: Der Sportinformationsdienst, den der sportinteressierte Leser zumeist unter dem Kürzel sid wahrnimmt.

Ohne seine Kunden darüber zu informieren, berichtet der sid seit Monaten nicht mehr über Ballack – es sei denn, er schießt ein Tor. Man beschränke sich auf die unumstößlichen Fakten, bestätigt Peter Rebig, Geschäftsführer der Neusser Nachrichtenagentur, denn man habe „sehr unangenehme Erfahrungen“ gemacht.

Von einem Boykott will Rebig nicht sprechen, aber faktisch ist es einer. „Aufgrund der sensiblen Situation im Umfeld von Herrn Ballack werden wir genauso höchst sensibel mit der Berichterstattung umgehen“, formuliert er, „wir möchten vermeiden, dass wir juristisch belangt werden“. Mit Ballacks „Umfeld“ ist vor allem einer gemeint: Anwalt Michael Becker, der von Luxemburg aus operierende Berater des Sportlers.

Hintergrund dieses im deutschen Fußball einmaligen Vorgangs sind Auseinandersetzungen um zwei Ballack-Geschichten des sid. In der ersten aus dem Jahre 2006 hatte die Agentur ein angebliches Ballack-Zitat aus dem englischen Boulevardblatt Sun verwendet, wonach der ukrainische Stürmer Andrei Shevchenko, der ebenfalls bei Chelsea spielt, eine „Rakete“ sei. Offenbar hatte Ballack der in englischen Fußballkreisen extrem schlecht beleumdeten Sun – das Blatt hatte 1989 nach der Zuschauerkatastrophe von Hillsborough wahrheitswidrig geschrieben, es sei auf die 96 toten Liverpooler Fans uriniert worden – diesen an sich harmlosen Satz aber gar nicht gesagt. Becker beschwerte sich beim sid, der in der Branche als eher unkritisch eingeschätzt wird. Die Sache wurde außergerichtlich geregelt.

Nach dem Schweiz-Länderspiel im Februar 2007, als Ballack verletzt ausgewechselt wurde, eskalierte der Streit, nachdem der sid eine Nachricht der altehrwürdigen Times aufgriff. Ballack sei „offenbar schwerer verletzt als zunächst angenommen“, berichtete die Agentur, „bei dem Mittelfeldspieler des englischen Fußballmeisters FC Chelsea wurde nach einem Bericht der englischen Tageszeitung Times bei einer Kernspin-Untersuchung ein Einriss der rechten Oberschenkelmuskulatur diagnostiziert.“ Seit dieser Meldung, die Becker umgehend als unrichtig deklarierte, herrscht Krieg zwischen den Parteien.

Dabei schießt die Ballack-Partei mit scharfen Waffen; Becker beauftragte keinen Geringeren als den Hamburger Anwalt Michael Nesselhauf, bekannt geworden als Vertreter von Altbundeskanzler Schröder in dessen „Haar-Affäre“. „Der sid hat zwei Behauptungen aufgestellt, die einfach falsch waren“, sagt Nesselhauf, und die englische Times sei, das habe ein Gericht bestätigt, „keine privilegierte Quelle“. Die Agentur hätte sich schlicht bei Ballack oder seinem Berater rückversichern müssen, insistiert Nesselhauf: „Wir verlangen nur die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht.“ Überdies habe allein der sid die Sache eskalieren lassen: „Die Angelegenheit wäre leicht zu lösen, wenn nämlich eine Richtigstellung erfolgt wäre.“

„Wir wissen, dass die Arbeit mit Michael Ballack manchmal problematisch ist“, sagt dazu ein dpa-Sprecher, „aber unsere Erfahrung ist, dass man das besser mit ihm selbst bespricht, als das öffentlich zu erörtern.“

Und nicht nur den sid, auch andere Reporter, die indes nicht genannt werden wollen, nervt das Thema Ballack. Seit dessen Transfer von München nach Madrid geplatzt sei, habe sich der Star zunehmend abgeschottet, diesen Eindruck haben altgediente Fußballjournalisten. Allein Michael Becker gewähre heute den Zugang, der aber überschütte die Redaktionen zunehmend mit Beschwerden – wenn nicht in Ballacks Sinne berichtet werde. Anwalt Nesselhauf glaubt dagegen andere Gründe für die juristischen Scharmützel ausgemacht zu haben: „Die Sitten im Journalismus haben sich erheblich verschlechtert.“

Seltsam ist diese Presse-Fehde allemal, produziert sie doch nur Verlierer. Der sid verliert Abdrucke in Zeitungen, Ballack Aufmerksamkeit. „Wir schreiben ja immer an dem Marktwert der Spieler mit“, weiß Rebig, der bestätigt, dass die „höchst sensible Berichterstattung“ auch für andere Klienten Beckers gelte.

Eine Aussage, die Becker, der auch Roman Weidenfeller (Dortmund) und Nationalspieler Bernd Schneider (Leverkusen) managt, kaum glauben kann. „Das ist äußerst bedenklich, wenn das von sid öffentlich so geäußert worden ist. Allerdings ist es mir in der Tat lieber, diese Agentur berichtet nicht, als fehlerhaft.“

Erschienen am 20. September 2007 in der Frankfurter Rundschau.

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