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Das Populäre verkauft sich kaum

Sportbücher sind in Deutschland nicht begehrt / Verlage bemängeln die Qualität der Manuskripte und den fehlenden Hang zum Biographischen.

 

Wenn ein Fußballspiel in England nach Aufklärung verlangte, dann jenes 3:6-Desaster von Wembley 1953. Eine publizistische Flut brach sich Bahn nach diesem legendären Match, in dem die Ungarn den Engländern die erste Niederlage auf heimischem Terrain zugefügt hatten. In den Augen der Briten, die doch im Bewusstsein aufgewachsen waren, den Fußball erfunden zu haben, blieb es trotzdem mysteriös. Zwei Jahre später musste ein Österreicher kommen und das Unbegreifliche vermitteln. Das Buch „Soccer Revolution“ aus der Feder Willy Meisls sezierte die Mängel englischen Fußballs; im Zuge der Temposteigerung im britischen Profifußball, so der Kern der Analyse, sei die notwendige Präzision vernachlässigt worden. Ungarn stellte schlicht die besseren Techniker.

Zugleich stellte dieses Werk – auch in literarischer Hinsicht – eine meisterhafte Beschreibung modernen Fußballs dar. Der Autor verkörperte seit Mitte der 20er Jahre, als er in der Vossischen Zeitung subtile Feuilletons zum aktuellen Geschehen verfasste, die Synthese von „niederem“ Sport und „hoher“ Literatur. Für Meisl galt keineswegs die angebliche Unvereinbarkeit beider Bereiche, wie Literaturkritiker schon immer fabulieren. Stellvertretend für diese Spezies sagte einer 1930, wem der Sport am Herzen liege, „der sucht ihn auf Plätzen und Wassern, nicht auf dem Papier, der sucht ihn in der Wirklichkeit, nicht in der Dichtung. Denn er ist der Gegensatz zur Dichtung, Feind des Papiers.“

Diese These ist zumindest in Deutschland heute noch weit verbreitet. In Großbritannien dagegen, wo man Sport als konstitutives Element der Gesellschaft betrachtet, gerät Sport gar zum Sprungbrett für Literaten. „Fever Pitch“ etwa, diese in Poesie gekleidete komplizierte Beziehung eines Arsenal-Fans zu seinem Verein, wurde dort über hunderttausend Mal verkauft und machte seinen Autor Nick Hornby zum Star. In Deutschland hingegen verzichten wichtige Autoren darauf, sich einem solch profanen Gegenstand zu widmen; ihr Ruf könnte ja darunter leiden.

„Wir haben in Deutschland einfach nicht eine mit der angelsächsischen Kultur vergleichbares Sportverständnis“, sagt Fußball-Autor Dietrich Schulze-Marmeling, der mit seinem Buch „Der gezähmte Fußball“ vor etwa zehn Jahren eine intellektuellere Auseinandersetzung mit dem Fußball einläutete. „Wenn jemand sagt, wir seien eine Sportgesellschaft, kann ich darüber nur milde lächeln.“ Vor allem aber macht er die schlechte Qualität der meisten Publikationen dafür verantwortlich, dass – im Vergleich zum angelsächsischen Markt – in Deutschland relativ wenig Sportbücher in den Handel gehen.

Der Kasseler Verleger Wolfgang Fuhr stimmt dem ohne Umschweife zu. Als konkretes Beispiel führt er den Absatz in Ostdeutschland an, ein vor 1989 hochentwickelter Markt. „Nach der Wende ist dort die gesamte Sportbuchkultur zusammengebrochen“, so der Chef des Agon-Verlages, „die Leute dort haben teilweise die neuen Westprodukte zurückgeschickt, so enttäuscht waren die.“ Angesichts der damals glänzenden Recherche würden die Leser die bildorientierten Sportbände heute als „minderwertige Ware“ empfinden. Zusätzlich, so Fuhr, fehle in Deutschland der in England festzustellende Hang zum Biographischen, und im Gegensatz zu den seligen 50er Jahren seien starke Identifikationsfiguren wie Fritz Walter oder Uwe Seeler völlig verloren gegangen. Heute regiere der Neid gegenüber vielen Stars, außerdem, stellt Fuhr fest, „haben wir Deutsche offenbar zu wenig Humor.“

Fuhrs Kollege vom Werkstatt-Verlag aus Göttingen, Bernd Beyer, sieht ebenfalls „die Leute über Jahrzehnte zugeschüttet mit flacher Literatur.“ So etwas müsse sich schließlich irgendwann auf das Kaufverhalten auswirken.

Den großen Verlagen ist der Sportbuchmarkt hingegen „ein Rätsel“. Warum gerade dieses Marktsegment so schlecht gehe, „das fragen wir uns auch immer“, sagt Viola Platte aus dem Lektorat von Kiepenheuer & Witsch in Köln. Michael Neher von der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) in München orakelt, „dass die meisten Sportler und Sportjournalisten vielleicht einfach zu schlecht schreiben.“ Neher vermisst außerdem eine „intellektuelle Kultur in Deutschland, die den Fußball begleitet“, abgesehen von wenigen Feuilletonisten. Und doch sehe DVA mehr Potenzial im Sport, „der bis dato viel zuwenig Auflage bringt angesichts seiner sonstigen Popularität“, und sucht nach neuen Wegen. Vor geraumer Zeit, erzählt Neher, habe man beispielsweise eine Edelfeder von der Süddeutschen Zeitung gebeten, ein Jahr lang den FC Bayern München zu begleiten. Diese Person, die ansonsten hochkulturelle Dinge verhandelt, habe in dem Gespräch begeistert auf diese Idee reagiert. Und dennoch ist es der letzte Kontakt geblieben.

Erschienen am 28. Februar 2002 in der Frankfurter Rundschau.

 

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