Bernd Beyer: Helmut Schön. Eine Biografie
Hardcover / 544 Seiten
28,00 Euro
1. Auflage 2016
Verlag Die Werkstatt
ISBN: 978-3730703168
Eine neue Biografie Helmut Schöns als Epochenbild.
Die 0:1-Niederlage gegen die DDR, sie schmerzte den Trainer am meisten. Er habe nie einen Menschen gesehen wie Helmut Schön in der Kabine nach diesem Vorrundenspiel bei der Fußball-WM 1974, erzählt Berti Vogts in der neuen Biographie Bernd Beyers über den früheren Bundestrainer. „Wie er geschlagen war. Er hat auch zwei, drei Tage kaum mit uns gesprochen.“ Die folgenden Tage in Malente (die angebliche Machtübernahme durch den Kapitän Franz Beckenbauer, das gequälte Gesicht des Coaches) prägten das Image Schöns nachhaltig. Weshalb dieses Kapitel eine zentrale Rolle in dem monumentalen, über 500 Seiten starken Werk einnimmt.
Dass der „Mann mit der Mütze“ als Trainer am Erfolg weniger Anteil am WM-Titel habe als Sepp Herberger 1954, gelte, weiß Beyer, „bis heute als gängige Meinung“ – obwohl Schön mit den Titeln 1972 (EM) und 1974 (WM) unbestritten einer der erfolgreichsten Trainer überhaupt ist. Den pauschalen Vorwurf, ein Zauderer zu sein, die Entscheidungen bis zur letzten Minute aufzuheben, fand der Trainer ungerecht. „Zaudern ist so ein negatives Wort“, sagte Schön. „Ich bin eher für das Wort ,Gewissenhaftigkeit‘.“
Und tatsächlich bewies Schön, wie Beyer mit erzählerischer Dichte belegt, bei der Kaderzusammenstellung oft großen Mut. So etwa beim WM-Qualifikationsspiel in Stockholm 1965, seiner ersten Bewährungsprobe als Nachfolger Sepp Herbergers. Dort brachte er zwei Debütanten: Peter Grosser (1860 München) und Franz Beckenbauer (Bayern), der erst sechs Bundesligapartien hinter sich hatte. Und ließ außerdem Uwe Seeler spielen, dessen Einsatz nach dem just auskurierten Achillessehnenriss riskant war. Bei der EM 1972 riskierte Schön mit der Aufstellung des Duos Paul Breitner und Uli Hoeneß ebenso viel.
Fußballerisch sozialisiert wurde Schön, 1915 als Sohn eines Kunsthändlers in Dresden geboren, durch Jimmy Hogan, den legendären Coach aus Schottland, der den kultivierten Kurzpass lehrte. Die Schönheit des Spiels verkörperte Schön auch als technisch versierter Mittelstürmer. Mit dem Dresdner SC wurde er zweimal Meister, dazu schoss er 17 Tore in 16 Länderspielen. „Die Charakterisierung ,zu weich‘ hörte Schön“, schreibt Beyer, „schon in seiner Zeit als Spieler. Gegenüber dem Trainer Schön äußerte sich diese Kritik massiver, jetzt wurde die weiche Spielweise sozusagen auf seinen Charakter übertragen, und gemeint war: Er sei nicht durchsetzungsfähig gegenüber den Spielern.“
Begonnen hatte diese Trainerkarriere noch in der DDR. Am 1. Mai 1949 wurde Schön Cheftrainer der DDR-Auswahl, blieb aber ohne Länderspiel. Als Schön im Januar 1950 beim Trainerlehrgang in Köln den Kontakt zu Bundestrainer Sepp Herberger wieder aktivierte, attestierten ihm die DDR-Funktionäre „undemokratisches Verhalten“ und schassten ihn. Schön wurde nun abgehört. Kurz darauf flüchtete er über Berlin nach Wiesbaden.
Es folgten Jahre, in denen ihn Existenzängste plagten. Im Frühjahr 1952 wollte Schön ein Angebot des aufstrebenden 1. FC Köln annehmen, als ihn der Chef des Saarländischen Fußball-Bundes (SFB), Hermann Neuberger, als Verbandstrainer engagierte. Sein zweiter Job als Nationaltrainer (das Saarland war bis 1955 autonom) geriet zur Startrampe für seine Karriere im Deutschen Fußball-Bund (DFB): 1956 zum Assistenten Herbergers ernannt, bestimmte ihn der DFB 1962 zum Nachfolger – weshalb Schön, als Cheftrainer dreier deutscher Nationalteams, wie kein anderer die Nachkriegsgeschichte des deutschen Fußballs repräsentiert.
Der spektakuläre Stil jener Mannschaft um Beckenbauer und Günter Netzer, die 1972 erstmals in Wembley siegte und rauschhaft zum EM-Titel stürmte, legte die Messlatte für die WM 1974 hoch. Der Druck war extrem für Schön, und auch die Konflikte zwischen den selbstbewussten DFB-Funktionären und den zunehmend selbstbewussten Profis, die sich im Ausschluss der Spielerfrauen beim WM-Bankett wie auch beim Poker um Prämien äußerten, setzten ihm zu. Er hegte Rücktrittsgedanken. „Und wovon sollen wir leben?“, fragte bang seine Frau.
Schön machte weiter. Einen würdigen Abschluss seiner Zeit bei der WM 1978 verhinderte nicht zuletzt DFB-Präsident Neuberger. „Der Pate“ (Beyer) habe sich in die Belange Schöns eingemischt wie kein anderer DFB-Funktionär und beispielsweise die WM-Teilnahme der Legionäre Beckenbauer, Breitner und Uli Stielike verhindert (weil Neuberger nur Profis aus deutschen Klubs wollte). Als Neuberger während der WM 1978 Schön noch falsches Training vorwarf, kam es zum Zerwürfnis: „Das hat mich tief getroffen.“
Speziell dieses Kapitel zählt zu den interessantesten. Niemand hat diesen Prozess der Professionalisierung im deutschen Fußball der siebziger Jahre bisher eindrucksvoller seziert als Beyer. Aber auch für viele andere Kapitel des deutschen Nachkriegsfußballs taugt diese wunderbare Biographie Schöns als exzellente Folie.
Erschienen am 14. Dezember 2016 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Warten auf das Zeichen aus Saarbrücken
Seit einem Jahr hatte Helmut Schön auf ein Zeichen aus Saarbrücken gewartet. Weil nichts passierte, war der Trainer am Ostersamstag des Jahres 1952 drauf und dran, beim 1. FC Köln zu unterschreiben. Er war schon auf dem Weg ins Café um die Ecke, um den Kölnern telefonisch zuzusagen. Doch er kehrte nochmal um und wartete in seiner Wiesbadener Wohnung auf den Postboten. „Vielleicht war doch endlich das Schreiben des Saarländischen Fußball-Bundes dabei, auf das ich so lange wartete.“
Als der Brief des SFB kam, der ihm ein monatliches Einkommen in Höhe von 800 Mark als Verbandstrainer sicherte, spürte Schön Erleichterung. „Als Klubtrainer wäre ich wie viele andere vielleicht mehrmals rausgeflogen“, schrieb er später. „Als Verbandstrainer kam ich mir so sicher wie ein Beamter vor.“ Auf jeden Fall wäre die Geschichte des deutschen Fußballs anders verlaufen, hätte Schön damals nicht auf den Postboten gelauert. Dann hätte es womöglich nicht diesen deutschen Traumfußball bei der EM 1972 und den folgenden WM-Titel 1974 gegeben.
Der Job im Saarland, den Schön bis zum Ende der Autonomie ausübte, bedeutete schließlich die Startrampe für die Karriere im Deutschen Fußball-Bund (DFB), wie Bernd Beyer in seiner wunderbaren neuen Schön-Biografie beschreibt. Schön, 1915 in Dresden als Sohn eines Kunsthändlers geboren, 16maliger Nationalspieler unter Reichstrainer Sepp Herberger, 1950 bis 1951 erster Cheftrainer der DDR-Auswahl (wo er wegen des falschen politischen Bewusstsein geschasst wurde), feierte große Erfolge mit der Saar-Auswahl.
Als Fußballwunder wurde der Auswärtssieg des Teams am 24. Juni 1953 in Oslo zelebriert, als die Mannschaft zum Auftakt der WM-Qualifikation nach 0:2-Rückstand mit 3:2-Toren siegte. Auch das 0:0 im Rückspiel gegen Norwegen war achtbar. Sogar nach dem 0:3 in Stuttgart beim „großen Bruder“, der Herberger-Auswahl, war die Qualifikation für die Schweiz 1954 noch möglich. Als das Saarland zu Hause nach großem Kampf das Rückspiel 1:3 verloren hatte, juxte Schön: „Lieber Herr Herberger, da das Saarland nun keine Möglichkeit mehr hat, in der Schweiz Weltmeister zu werden, schaffen Sie es doch bitte mit der deutschen Nationalmannschaft.“
Im Saarland hatte Schön bereits Hermann Neuberger kennengelernt, den gelernten Sportjournalisten, der nach 1950 im SFB-Vorstand und danach im DFB (1969 rückte er ins Präsidium auf, 1975 wurde er Präsident) Karriere machte. Nach den großen Erfolgen, die Schön bis 1974 mit der Nationalmannschaft gefeiert hatte, die Vizeweltmeisterschaft 1966 in England, den 3. WM-Rang in Mexiko und die großen Erfolge 1972 und 1974, war es Neuberger, der Schön, der sich mit Rücktrittsgedanken trug, zum Weitermachen überredete.
Diese letzten vier Jahre in der Ära Schön entwickelten sich jedoch nicht zum Ruhmesblatt. „Der Pate“ (Beyer) Neuberger habe sich in die Belange Schöns eingemischt wie kein anderer DFB-Präsident, urteilt der Schön Biograf Beyer – indem er beispielsweise die WM-Teilnahme der Legionäre Beckenbauers, Breitners und Uli Stielikes verhinderte (Neuberger wollte nur Profis aus deutschen Klubs wollte). Als Neuberger während der WM 1978 Schön noch öffentlich falsches Training vorwarf, kam es zum Zerwürfnis. Schön: „Das hat mich tief getroffen.“
Es gibt viele aufschlussreiche Passagen in diesem Buch, etwa die zahlreichen Belege Beyers, dass Schön, der heute als großer Zauderer des deutschen Fußballs gilt, oft sehr mutig aufstellte (etwa als er Franz Beckenbauer im wichtigen Qualifikationsspiel 1965 in Schweden debütieren ließ). Doch speziell dieses letzte unrühmliche Kapitel zwischen 1974 und 1978 zählt zu den interessantesten in dem opulenten, über 500 Seiten starken Werk.
Niemand hat diesen Prozess der Professionalisierung im deutschen Profifußball der siebziger Jahre, in dem sich die Profis gegen die Funktionäre zunehmend zur Wehr setzte, bisher eindrucksvoller seziert. Doch auch für viele andere Kapitel des deutschen Nachkriegsfußballs, wie etwa das kurze Kapitel des autonomen Saarfußballs, taugt diese wunderbare Biografie Schöns als grandiose Folie.
Erschienen am 12. Januar 2017 in der Saarbrücker Zeitung.
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