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Auch Rituale ändern sich: Die Ehrungen bei Olympia

Rezension 2000 Olympia Schoebel_Olympia Cover

Heinz Schöbel: Olympia und seine Spiele

Hardcover / 360 Seiten
DM 78
1. Auflage 2000
Sportverlag Berlin
ISBN 978-3328008668

Rezension 2000 Olympia Lennartz_Borgers_Olympia Cover

Karl Lennartz/Walter Borgers/Anderas Höfer: Olympische Siege. Medaillen – Diplome – Ehrungen

Hardcover / 474 Seiten
DM 128
1. Auflage 2000
Sportverlag Berlin
ISBN 978-3328008651

 

Der undankbare 3. Platz

Jeder kennt das Ritual der olympischen Siegerehrung. Drei Athleten stellen sich hinter ein dreistufiges Podest und werden in der Reihenfolge Gold, Silber, Bronze aufgerufen. Es erscheint ein Funktionär, hängt die Medaillen um den Hals der Athleten, und dann wird – ein meist pathetischer Moment – die Hymne aus dem Land des Siegers abgespielt.

So war es und so wird es immer bleiben. Ein sportliches Naturgesetz, so meint man. Falsch gedacht.

Vor 104 Jahren war noch alles anders. Schaut man auf die Ehrungen der ersten Internationalen Olympischen Spiele der Neuzeit, 1896 in Athen, findet man keines dieser scheinbar traditionellen Elemente bei der Verteilung olympischer Meriten. Zum Zwecke der Ehrung aller Athener Sieger war für den letzten Tag der Spiele eine Tribüne im Panathenäischen Stadion errichtet worden. „Gemeinsam mit dem IOC nahmen die Athleten davor Aufstellung, und nach dem Aufruf durch einen Herold stieg einer nach dem anderen eine Treppe hinauf, um vom König dekoriert zu werden”, schreibt Volker Kluge im gewaltigen Kompendium „Olympische Siege”. Auch verteilte Griechenkönig Georg I. keine goldenen, sondern nur silberne Medaillen für die Sieger und bronzene für die zweiten. Der 3. Rang war damals der undankbare, für ihn gab es kein Edelmetall.

In diesem Buch, eigentlich als Ausstellungskatalog einer Wanderausstellung konzipiert, werden all die Begleitumstände olympischer Siege detailliert und beängstigend lückenlos dokumentiert. Das Autorenteam stellt sich vor als ein produktives Gemisch aus Historikern, Journalisten und Sammlern, die weltweit einen Ruf als überragende Kenner olympischer Geschichte genießen.

Und es ist wahrlich keine euphemistische Geschichtsklitterei, die so oft im olympischen Bereich anzutreffen ist. Denn schon für die 1896er Spiele begegnen uns in besagtem Beitrag kritische Bemerkungen. Kluge weist hin auf den propagandistisch geschickten Schachzug des Gründers, Pierre de Coubertin, sich auf die Antike zu berufen. Dieses Vorbild sollte allen Kritikern, so die Taktik des Barons, den Wind aus den Segeln nehmen. „Alles Staffage”, meint Kluge, schließlich war der in der Antike verteilte Ölbaumzweig nur noch Beiwerk. Nun kassierte sogar der Zweite einen Ehrenpreis. Das wäre in der Antike nicht passiert. Da hieß es nur: Kranz oder Tod.

Bei der Preisverleihung 1896 indes waren nicht mehr alle Sieger anwesend. Als Amateure waren die meisten bereits zur Abreise gezwungen, um wieder Geld zu verdienen. Bald ließ das IOC deswegen die Ehrung am Tag des jeweiligen Wettbewerbs vornehmen, um jedem Sieger diesen Moment zu vergönnen. Auch wurden die Medaillen bald nicht mehr in einem Etui übergeben, sondern mit einem Band um den Hals gehängt. In Athen wurde der Auszeichnende, also der König, noch gegenüber dem zu Ehrenden erhöht (was sich erst 1932 in Los Angeles mit der Einführung des Siegertreppchens änderte). Daran wird die zunehmende Bedeutung des sportlichen Sieges bei Olympia deutlich: Heute nehmen die Zuschauer die Tattergreise des IOC, die die Medaillen übergeben, kaum noch wahr. Oder weiß noch jemand, von wem Hochspringerin Heike Henkel 1992 ihr Gold überreicht bekam?

Für bibliophile Olympiafreaks ist dieses Buch, das über Medaillen und Diplome hinaus ein Stück Kulturgeschichte vermittelt, wirklich ein Muss. Ohne prophetisch sein zu wollen, man darf vermuten: Das wird ein Standardwerk.

Ein solches war bereits in den 60er-Jahren „Olympia und seine Spiele” vom ersten IOC-Mitglied aus der DDR, dem Historiker Heinz Schöbel. In dieser populärwissenschaftlich angelegten Erzählung über die griechischen Olympien, die reich bebildert ist mit athletischen Motiven, räumte Schöbel auf mit manchem Vorurteil über das antike Vorbild. Und das so lesenswert, dass diese Fassung jetzt nun schon zum achten Male aufgelegt wurde.

 Erschienen in taz vom 11. August 2000

 

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