Walter Kappacher: Silberpfeile
Taschenbuch / 224 Seiten
8,90 Euro
1. Auflage 2009
dtv
ISBN: 978-3423138734
Über Walter Kappachers wunderbares Buch „Silberpfeile“.
Als Reichskanzler Adolf Hitler 1933 die Berliner Automobil-Ausstellung eröffnete, da durften die Zuhörer seine Rede ein einziges Ja zur Motorisierung Deutschlands verstehen. Neben der geifernden NS-Propaganda sollten nun auch deutsche Motoren aufheulen. Die einheimischen Hersteller waren indes, eine Folge der in der Weimarer Zeit besonders verheerenden Wirtschaftskrise, bis dahin völlig unterentwickelt gewesen. Fortan aber stand die Politik, sprich Hitler, „den Plänen von Mercedes und Auto-Union, konkurrenzfähige Grand-Prix-Wagen zu bauen, mit großer Sympathie gegenüber. Er hob den Propagandawert des Automobilrennsports hervor; die Beteiligung deutscher Rennwagen am internationalen Grand-Prix-Sport sei eine nationale Notwendigkeit“, erinnert sich der 85-jährige Paul Windisch, damals Ingenieur bei der Zwickauer Auto-Union, in dem wundervoll erzählten Roman „Silberpfeile“.
Eine lange stumme Geschichte. In den 50er Jahren hatte Windisch in der seinerzeit renommierten Schweizer Automobil-Revue eine Beitragsserie geschrieben über die vom legendären Technik-Chef der Auto-Union, Ferdinand Porsche, konstruierten Triebwerksaggregate. Interessiert hatte das keinen in jener vergangenheitslosen Zeit; in der alle nur in die Zukunft blickten. Aber nun, Jahrzehnte später, kam dieser seltsame Sportjournalist, der, selbst nicht mehr ganz jung, ein Buch schreiben wollte über den faszinierenden Beginn des deutschen Motorsports. Es sollte von den unglaublichen Geschwindigkeitsrekorden der handgesteuerten Riesen-Projektile auf abgesperrten Autobahnen handeln, von futuristischen Karosserien und technischen Wunderwerken.
Auf Windisch war der Schreiber gestoßen in einem kleinen Museum in Mantua. Dort, wo sie hingebungsvoll den italienischen Grand-Prix-Piloten Tazio Nuvolari verehren, hatte der Journalist eine vergilbte Fotografie von der Automobilausstellung 1937 entdeckt, das die ganze Galerie der deutschen Rennsporthelden der 30er Jahre zeigte: Hans Lang, Manfred von Brauchitsch, Rudolf Caracciola, Hans Stuck und Bernd Rosemeyer, wie sie inmitten von schwarzen SS-Uniformen stramm vor dem Führer stehen. Im Hintergrund, beim flüchtigen Blick kaum zu bemerken, hatte Windisch gestanden. Er, der völlig unbemerkt in einem Salzburger Altenheim sein Dasein fristete.
Das Problem: Der greise Quell will zunächst nicht reden. Aber schließlich taucht Windisch doch ab in die benzingetränkte Vergangenheit, spricht endlich von den Kompressoren, Ventilen und Nockenwellen, die nach oben liegen. Windisch, merkt der Journalist schnell, ist immer ein unpolitischer Mann gewesen. Seine Obsession sind und waren Motoren; schon als Jugendlicher hatte er den klebrigen Geruch von Öl und Maschine geliebt. Nach 1933 war seine Zeit gekommen: Beim Wettlauf zwischen Mercedes, das die Silberpfeile 1934 erstmals ins Rennen schickte, und der Auto-Union war das braune Regime auf solche harmlos erscheinenden Tüftler und Bastler angewiesen – sie, die unreflektiert die zeitgemäße Technik bereitstellten, waren genau so wichtig für großdeutsche Ziele wie die halsbrecherischen Fahrernaturen.
Vor allem vom kühnen Bernd Rosemeyer, dem Liebling der Massen, ist der Journalist angetan. Als dieser im Alter von 29 Jahren bei über 400 km/h auf einer schmalen Autobahn von einem Luftzug erfasst wurde und tödlich verunglückte, unterbrachen die deutschen Rundfunksender ihre Programme. In den zahlreichen Radiomeldungen und Extrablättern erprobten die Nationalsozialisten, noch bevor der Zweite Weltkrieg begonnen hatte, schon einmal die später massenhaft verbreitete Rhetorik vom Heldentod. „Möge der Gedanke, dass Rosemeyer im Einsatz für Deutschland fiel, den Schmerz über den Verlust lindern“, hieß es lapidar in dem Telegramm, das Hitler an die zurückgebliebene Witwe schickte. Elly Beinhorn, die damals nicht minder populäre Fliegerin, wird es kaum getröstet haben.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist auch der Leser abgetaucht in jene faszinierende, ambivalente Epoche. Doch je länger sich der Sportjournalist mit dem Alten beschäftigt, desto klarer wird auch: Dies kann keine Geschichte sein allein über die Silberpfeile. Es wird auch die Geschichte des Konstrukteurs. Nach 1939 musste der technisch versierte Windisch in die Rüstungsindustrie wechseln; Raketen statt Rennsport hieß fortan die Devise. Und natürlich wurde Windisch, als er sich in einem alten Brauerei-Stollen der „Geheimwaffe V2“ zu widmen hatte, konfrontiert mit den vielen hässlichen Fratzen des Krieges. Windisch geriet auf kaum zu verhindernde Abwege, die weit entfernt sind vom Sport, aber dennoch nicht weniger interessant. Eine bewegende Biografie; eine, die bleibt.
Dem ruhigen und unprätentiösen Erzählstil Walter Kappachers zu folgen, ist dabei eine helle Freude. Eine Vorliebe für Maschinen, Mechaniker und Konstrukteure besaß der österreicherische Autor schon immer, da musste die Verlockung ziemlich groß erscheinen, einmal diesen deutschen Automobil-Mythos der 30er Jahre literarisch zu verhandeln. Jeder Leser freut sich, dass er nicht imstande war, dieser Versuchung zu widerstehen.
Erschienen am 18. Dezember 2001 in der Financial Times Deutschland (damals als Hardcover).