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Das Martyrium des Bohumil Modrý

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Josef Haslinger: Jáchymov

Hardcover / 271 Seiten
19,95 Euro
1. Auflage 2011
S. Fischer Verlag

ISBN: 3100300610

 

Der Roman Jáchymov erzählt die Geschichte, wie die Tschechen die Russen das kanadische Eishockey lehrten, vor allem aber das bewegende Schicksal von Bohumil Modrý, Torwart der tschechischen Eishockey-Weltmeister von 1947 und 1949.

 

Für Februar 1948 war eine US-Tournee geplant, aber die Reise der Eishockeymannschaft des LTC Prag ging dann doch gen Moskau. „Die Sportkommission der KPdSU hatte beschlossen, den bürgerlichen Sport Eishockey zu einem sowjetisch-proletarischen zu machen, und möglichst gleich zum weltbesten. Praktischerweise war in der Erweiterungszone des eigenen Imperiums ein Weltmeister zu Hause, den man zur Bruderhilfe verpflichten konnte“, so beschreibt Josef Haslinger in dem großartigen Roman „Jachymov“ den Beginn jener Geschichte, in der Prag, das den Kern der Weltmeistermannschaft von 1947 stellte, die Russen das kanadische Eishockey lehrte. Bis dahin war dort nur Bandy gespielt worden, das Ballspiel auf einer Eisfläche von der Größe eines Fußballplatzes. Nur sechs Jahre später, bei der WM 1954, besiegte der Neuling Sowjetunion erstmals Kanada, das Mutterland des Eishockeys, und wurde Weltmeister.

Hauptfigur des Romans ist Bohumil Modrý, Torwart des tschechischen Weltmeisterteams von 1947 und 1949, ein Bauingenieur, der während des Krieges, als der Puck in Prag ruhte, eine Torwartschule geschrieben hatte. Die Russen filmten Modrýs Art zu halten, seine Bewegungen, wie er den Winkel verkürzte. Eine Episode der Eishockeygeschichte, die in Deutschland bisher unbekannt war. Genauso wie die Details jenes Martyriums, das Modrý und andere tschechische Eishockeystars dann in den 1950er-Jahren erfuhren.

Diese Geschichte, die Haslinger über die Erinnerungen der Tochter Modrýs und mit historischen Prozessakten emphatisch rekonstruiert, begann schon im Dezember 1948, beim Spengler-Cup in Davos. Als Emigranten den LTC Prag dazu aufforderten, dem neuen kommunistischen Regime in Prag den Rücken zu kehren, im Westen zu bleiben, hatte Modrý gesagt: „Wir können abstimmen, was wir alle machen.“ Das Team hatte sich mit knapper Mehrheit dagegen entschieden. Und als es 1949 Kanada bei der WM besiegte und den Titel holte, hatten die Kommunisten die Mannschaft gefeiert und reich beschenkt. Modrý war gar signalisiert worden, er dürfe zwei Jahre in Ottawa spielen, als Profi in der NHL.

Doch dazu kam es nicht. Nachdem das Team randalierte, als es März 1950 nicht zu einem Turnier nach London ausreisen durfte, wurden viele Spieler verhaftet. Und in den Verhören kam die Mannschaftssitzung von Davos 1948 zur Sprache, weshalb Modrý als mutmaßlicher Rädelsführer verhaftet wurde. Das strenge Urteil im Scheinprozess: 15 Jahren Haft. Bald verfrachtet man ihn ins Straflager nach Jáchymov, dem früheren St. Joachimsthal, in eine Uranmine. Die Strahlen brachten ihn um. Zwar wurde er 1955 begnadigt, aber Modrý starb 1963, noch keine 47 Jahre alt.

Mit Jáchymov sucht Haslinger die Sprachlosigkeit, die sich wie Mehltau über das Schicksal dieser Eishockeymannschaft gelegt hatte, zu überwinden, es ist zugleich eine fulminante Abrechnung mit der Unmenschlichkeit des repressiven kommunistischen Systems. „Jachymov“ ist also keine reine sporthistorische Studie, der Sport dient hier als Folie für einen Gesellschaftsroman. Aber doch ein leuchtendes Beispiel dafür, mit welcher literarischen Wucht Sportgeschichte erzählt werden kann.

Erschienen am 16. Mai 2012 im Deutschlandfunk.

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