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Als der Fußball modern wurde

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Kay Schiller: Als der Fußball modern wurde

Hardcover / 192 Seiten
14,95 Euro
1. Auflage 2014
Rotbuch
ISBN: 978-3867891943

 

Vor vier Jahrzehnten gewann der Deutsche Fußballbund (DFB) seinen zweiten Weltmeistertitel. Warum München 1974 nicht so zelebriert wurde, ergründet der Historiker Kay Schiller, aber auch die Bedingungen im Windschatten von Olympia 1972.

 

Noch im Herbst 1974, drei Monate nach Fußball-Weltmeisterschaft, wunderte sich Hermann Neuberger über die Nüchternheit nach dem zweiten WM-Titel der Beckenbauer-Elf. Viele Menschen, noch mehr im Ausland, hätten sich die Frage gestellt, warum man sich darüber nicht habe von Herzen freuen können, konstatierte der WM-Organisator und spätere Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB). Es sei nicht jene überschäumende Freude wie in den Tagen des Triumphes von Bern 1954 gewesen, jammerte der Fußballfunktionär auf dem DFB-Bundestag.

Auf die Suche nach der verlorenen Freude macht sich, 40 Jahre danach, auch der Historiker Kay Schiller in seinem feinen Büchlein „74“. Nationalistische Äußerungen seien wegen des Erbes der Studentenbewegung und 1968 sowie wegen der Entspannungspolitik verpönt gewesen, erklärt Schiller und folgt hier seiner Kollegin, der Historikerin Christiane Eisenberg. Schiller aber nennt als Gründe aber auch das Feilschen um die WM-Prämie und das ungewöhnlich verregnete Wetter im Sommer; das wäre der nationalen Begeisterung abträglich gewesen. Zudem hätte auch der Manipulationsskandal des Jahres 1971 für einen Entfremdungsprozess gesorgt. Und womöglich hatte auch die viel diskutierte Niederlage gegen die Auswahl der DDR, die Schiller als einen Schwerpunkt behandelt, die Euphorie gedämmt.

Schiller arbeitet überzeugend heraus, dass das WM-Turnier überhaupt im Windschatten der Olympischen Spiele 1972 stattfand: Während Willi Daume für München aus dem Vollen schöpfte, mussten die Funktionäre des DFB, der damals einen Jahresetat von fünf Millionen Mark besaß, in der Politik und in der Wirtschaft um jede Mark betteln gehen. Darunter, dass sich der olympische Etat von 500 Millionen auf zwei Milliarden Mark verteuerte, litten DFB und die gastgebenden Kommunen stark. München kassierte über 300 Millionen Mark vom Bund, der Fußball nur ein Sechstel davon.

Dennoch wurde das Turnier für alle Beteiligten ein ökonomischer Erfolg. Bei rund 69 Millionen Umsatz blieben 50 Millionen Mark Gewinn; von den 12,5 Millionen, die beim DFB hängen blieben, finanzierte der Dachverband eine neue Zentrale in Frankfurt. Schon 1974 generierten die Organisatoren 46 Prozent der Erlöse nicht aus Ticketeinnahmen, sondern aus dem Verkauf von TV-Rechten und Merchandisingprodukten wie den Maskottchen Tip und Tap. Pepsi-Cola zahlte einen großen Teil der Eröffnungsfeier. Insofern betrachtete Schiller die WM 1974 als Blaupause für die folgende Kommerzialisierung des Turniers, als Aufbruch in die Moderne des Fußballs.

Erschienen am 16. Juni 2014 im Deutschlandfunk.

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