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Kampf mit dem Monsterklub

Im Frühjahr 1983 rangen der FC Barcelona und der VfL Gummersbach um Erhard Wunderlich, den damals besten Handballers der Welt. Die Geschichte eines Pokers.

Es war noch die Zeit des Kalten Krieges. Zwar kämpfte der VfL Gummersbach in der Causa Erhard Wunderlich nicht gegen den Sozialismus. Sondern gegen den großen FC Barcelona, der im Frühjahr 1983 den Superstar des Handballs mit kapitalistischen Summen köderte. Aber es ging konspirativ wie in einem Spionagethriller zu, als der VfL dem Halblinken, der in der Form seines Lebens spielte, über einen Anwalt ein Vertragsangebot zukommen ließ.

„Die Parteien sind sich einig darüber, dass der Inhalt des Vertrages streng vertraulich behandelt wird. Von diesem Vertrag hat jede Partei ein Exemplar, das verschlossen aufbewahrt wird“, so lautete der letzte Paragraph des geheimen Vertragswerks. Am 18. April 1983 unterschrieb Wunderlich bekanntlich in Barcelona einen Vierjahresvertrag, der ihm 2,5 Mio. Mark einbringen sollte. Die 13 Tore, die der Rückraumstar den Katalanen beim 21:16-Heimsieg im Europapokalhalbfinale am 27. März 1983 eingeschenkt hatte, dürften den Preis noch einmal in die Höhe getrieben haben.

Aber wie hoch war der Einsatz der VfL in diesem Poker? Das wussten selbst die Mannschaftskollegen nicht. „Ich weiß nur noch, dass der VfL damals wirklich alles versucht hat, um Sepp zu halten“, erinnert sich Andreas Thiel. Das Angebot des Vereins, dass ein Rechtsanwalt aus einer Kanzlei in Bergneustadt am 18. März 1983 dem Handballer übermittelte, also knapp vier Wochen vor der Unterschrift Wunderlichs beim FCB, ist auch heute noch spektakulär. Wenn dieser Vertragsentwurf damals öffentlich geworden wäre, hätte er die Welt des Handballs in ihren Grundfesten erschüttert – denn es galt noch das Amateurstatut.

Die Handballclubs durften zu Beginn der 1980er Jahre maximal 700 Mark im Monat an die Profis zahlen. Was passieren konnte, hatte gerade der Fall des Jerzy Klempel gezeigt: Frisch Auf Göppingen musste aus der Bundesliga absteigen, nachdem die Bild am Sonntag den Profivertrag publiziert hatte, wonach der polnische Linkshänder 100.000 Mark im Jahr verdiente. Auch Gummersbach hätte der Zwangsabstieg gedroht, wenn diese Zahlen öffentlich geworden wären.

Denn der VfL verpflichtete sich, die beiden Hypotheken seines Hauses in Gummersbach, die noch über 190.000 Mark betrugen, zu übernehmen. „Der VfL Gummersbach verpflichtet sich hiermit, Herrn Wunderlich von diesen Verbindlichkeiten freizustellen bzw. diesem die zur Abtragung dieser Verbindlichkeiten erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Diese Zahlung stelle einen Ausgleich dafür das, dass Wunderlich als Spieler bis zum Sommer 1984 zur Verfügung stehe – es ging also um einen Einjahresvertrag.

Netto war das Gebot der Stunde, wie der Paragraph 4 berichtet. „Der VfL Gummersbach stellt Herrn Wunderlich von sämtlichen Ansprüchen des Finanzamtes frei, die dieses im Zusammenhang mit von dem VfL Gummersbach an Herrn Wunderlich erfolgten Zahlungen stellen sollte. Dies gilt sowohl für die Vergangenheit, als auch für die Zukunft. Die Parteien sind demnach darüber einig, dass es sich bei sämtlichen Zahlungen des VfL Gummersbach an Herrn Wunderlich bzw. zu seinen Gunsten des Herrn Wunderlich um Nettobeträge handelt.“ Die Vergangenheit reichte in diesem Fall bis 1976, als Wunderlich aus Augsburg ins Oberbergische gewechselt war.

Das war aber noch nicht alles. Wunderlich sollte weiterhin 1.000 Mark monatlich als Aufwandsentschädigung erhalten, dazu Kilometergeld. Und ihm sollten die Vermarktungsrechte für alle Hallenhefte des VfL überlassen werden. Diese Einnahmequelle besaß Wunderlich ebenfalls schon, erinnert sich Thiel, in der Saison 1982/83. „Wenn wir zum Laufen in den Wald wollten, ging er Anzeigen fürs Hallenheft verkaufen“, erzählt Thiel. „Sepp hatte immer wichtige Sachen zu erledigen.“ Auch da blieben ein paar Mark hängen.

Den Deal mit Barcelona fädelte dann auch ein Berater aus dem Fränkischen ein, den Thiel „halbseiden“ nennt. Dass er eine Millionengage verhandelt hatte, der teuerste Handballprofi der Welt war, verheimlichte Wunderlich keineswegs – weshalb er eigentlich für Länderspiele hätte gesperrt werden müssen. Doch der Deutsche Handballbund (DHB) sanktionierte diesen klaren Verstoß gegen die Amateurbestimmungen nicht.

Dazu brauchte es aber eine Sondersitzung beim Dachverband. Danach machte der DHB die Freigabe des Halblinken nach Spanien vom Weltverband IHF davon abhängig, „daß der Status des Spielers Wunderlich nicht gegen die Zulassungsbestimmungen verstößt und daß Wunderlich somit auch weiterhin für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt ist“. Der DHB wollte, die WM 1986 schon im Visier, partout nicht auf die Tore des besten Rückraumspielers dieser Zeit verzichten.

Als Wunderlichs Wechsel perfekt war, begann das Wehklagen, nicht nur bei VfL-Manager Eugen Haas. „Wo Geld in dieser Größenordnung im Spiel ist, wie bei den 2,5 Millionen, die er angeblich beim schwerreichen spanischen Monsterklub FC Barcelona erhalten sollte, da hört jede Logik auf“, heißt es in der Gummersbacher Vereinschronik. „Darum gab es auch keine ernsthaften Bestrebungen, den Scharfschützen von seinen Spanienplänen abzubringen.“ Das war nur die halbe Wahrheit, wie man jetzt weiß. In Wirklichkeit lag das Angebot des VfL nicht weit unter dem der Katalanen.

Erschienen in HANDBALL Time #5 (November 2014).

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